Und abends gehen wir zu Stirnbrand! Das war ein Jubelruf, damals in Stuttgart, um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Denn bei Stirnbrand, da war was los. Da kam alles zusammen, was in der württembergischen Residenzstadt Rang und Namen hatte. Und das Schönste: Es ging so ungezwungen zu!
Den immer etwas steif daherkommenden Schwaben der gehobenen Stände hat der Österreicher so manche Lockerungsübung verpasst. Künstlerisch, aber eben auch gesellschaftlich. Und so freute man sich in Theaterkreisen und in der hohen Beamtenschaft, man freute sich unter Literaten, Musikern, ja sogar bei Hofe, wenn es abends zu Stirnbrand ging.
Ja, seit der „Kroaten-Franzl“ 1838, um das Maß seines sozialen Aufstiegs vollzumachen, die verwitwete Friederike aus der Vorzeige-Familie Hartmann geheiratet hatte, „machte er“ mit seiner Frau in der eleganten Alleenstraße „ein Haus“. So sagte man damals. Und wie die beiden anderen beliebten Salons der Stadt hielt man sich auch bei Stirnbrands einen Dichter als Habitué. Es war nicht der tragisch umflorte Lenau, der das Fabeltier im Salon der Emilie Reinbeck verkörperte. Und es waren auch nicht die ein wenig provinziellen Barden der schwäbischen Romantik (Uhland, Kerner, Gustav Schwab), mit denen der Jour fixe bei Köstlins punkten konnte.
Nein, es war der als Bestseller-Autor durchaus auf die Stuttgarter Honoratioren ein wenig anrüchig wirkende Friedrich Wilhelm Hackländer, der uns die Stirnbrandsche Geselligkeit überliefert hat. Ein Unterhaltungs-Schriftsteller, man denke! Noch dazu ein Reingeschmeckter, wie der Hausherr.
Aber das war’s ja gerade: Diese leichte Schlagseite zur Bohème hin war ganz neu für Stuttgart. Und in Gestalt von Hackländer hatte sie sogar für den Kronprinzen Karl seinen Reiz: Jedenfalls machte er Hackländer zu seinem engsten Vertrauten und ließ sich auch in ästhetischer Hinsicht von ihm beraten.
Stets auserlesene Gesellschaft
Ja, es tat sich plötzlich was im Ländle. Und der Rheinländer Hackländer hob nun in seinen Erinnerungen nicht etwa das künstlerische Genie Stirnbrands hervor, sondern seine „Talente, eine Gesellschaft zu erheitern“, nicht und wagte sogar zu bemerken, dass Stirnbrand jeden Tag, den Gott werden ließ, ins Kaffeehaus ging. Kurzum, es seien „glückliche Abende“ gewesen, „die wir bei den liebenswürdigsten Wirten und der stets auserlesenen Gesellschaft, Künstlern aller Art, Schauspielern und Sängern verbrachten“, schreibt Hackländer. Sogar die international gefeierte Pianistin Clara Schumann gab sich hier die Ehre!
Alles schön und gut, aber Stirnbrand reüssierte in Stuttgart natürlich vor allem als Maler. Seine Porträts gehen in die Tausdende! Er malte Menschen aus allen Schichten. Aber selbstredend in erster Linie Leute von Stand. Kein Schloss in Schaben, keine Familie der „Ehrbarkeit“, wie hierzulande das Patriziat genannt wird, die nicht ihre Stirnbrands hätte. Vielleicht war es diese hohe Verbreitung, die lange Zeit verhindert hat, Stirnbrand auch aus kunstgeschichtlicher Sicht jene Aufmerksamkeit zu schenken, die seine Zeitgenossen so überreich für ihn besaßen.
Aber seit die Zunft sich auch für soziologische und geschmacksgeschichtliche Fragen interessiert, ändert sich das. Und so können wir in dem monumentalen Prachtband „Porträtmaler Franz Seraph Stirnbrand“ (Michael Imhof Verlag, 464 S., 89 Euro) von Roswitha Emele endlich die überfällige Würdigung eines Mannes erleben, der so unabdingbar zu Schwaben gehört wie der Trollinger und die Flädlesupp’.
Ohne pietistischen Ernst
Aber als Salz in derselben! Denn Stirnbrand mag zwar, wie auch andere Biedermeiermaler, zur Gefälligkeit geneigt haben. Aber er befreite auch aus protestantischer Feierlichkeit und pietistischem Ernst. Die schwäbische Malerei wurde mit Stirnbrand farbiger, sinnlicher.
Sicher, an Stereotypen mangelt es nicht. Die „holde Weiblichkeit“ wird vorzugsweise in Form von innig und sittsam blickenden Geschöpfen gezeigt. Eine voll erblühte Rose liegt immer irgendwo beziehungsreich herum, und das Handarbeitskörbchen schmiegt sich allzu oft an den bunten Kaschmirschal, der sogar bei Männerbildnissen unverzichtbar ist. Aber so wollte es halt die Kundschaft!
Porträtmalerei ist Auftragskunst par excellence. Natürlich muss ein Bildnis vor allem anderen ähnlich sein. Aber Damen wollen schließlich Schmuck und Garderobe zur Schau stellen. Eine große Rolle spielt im 19. Jahrhundert auch ihre Taille, die im Lauf der Jahrzehnte übrigens immer mehr nach unten wandert. Erst setzt sie, um 1815, unmittelbar unter dem Busen an, dann läuft sie am untersten Punkt des Rumpfes in ein Dreieck aus.
Tja, kein Wunder, dass 1848 Revolution gemacht wird und danach mit der Krinoline etwas völlig Neues kommt. Aber ganz im Ernst: Wer mit Porträts reüssieren will, darf keine Angst haben, sich zu wiederholen. Denn Madame X sieht sich nun mal gern wie Madame U. Und Stirnbrand lieferte. Das Bildnis der jung verstorbenen Königin Katharina von Württemberg, das Stirnbrand 1819 den Durchbruch brachte, hat er, so erfahren wir bei Roswitha Emele, anstandslos 29 Mal kopiert.
Napoleon auf Dosen
Apropos Durchbruch: Wie ging die Karriere Stirnbrands eigentlich vonstatten? Mühsam zunächst, kann man nur sagen. Erfolg war dem „herkunftslosen Künstler“, als den ihn die spitzzüngige Dichterin Ottilie Wildermuth bezeichnete, nicht in die Wiege gelegt worden. Wie gesagt, man weiß nicht einmal, wo diese stand. Irgendwo in Kroatien offenbar. Aber in den Wirren der Revolutionskriege wird der (vermutlich; genau weiß man es nicht) vierjährige Knabe in Niederösterreich „aufgefunden“, von einem kaiserlichen Soldaten, als eine junge Frau, wohl seine Mutter, das Kind gerade ertränken will! Es wächst bei Pflegeeltern auf. Und als nach einem Unfall in der Küche ihm auf einmal „die Stirn in Fetzen“ hängt, erhält er neunjährig seinen ersten Namen: Stirnbrand. Achtzehnjährig fügt der junge Mann dem noch Franz und Seraph hinzu.
Franz Seraph Stirnbrand, der von 1788 (?) bis 1882 lebte, war Autodidakt. Er begann seine Kunst im Verfertigen von Napoleonbildnissen zu üben, die er auf Dosen applizierte, im französisch besetzten Frankfurt, wohin es ihn irgendwann verschlagen hatte. Die damaligen Kriege schubsten die Menschen ebenso herum wie zwei Jahrzehnte zuvor die Französische Revolution.
Und so kommt Stirnbrand 1813 schließlich nach Stuttgart. Geht aber auch bald wieder weg, und zwar immer dorthin, wo Aufträge locken. Das kann mal der Hof in Karlsruhe, mal der von Ludwigsburg sein. Natürlich hat er Gönnerinnen und Gönner, die ihn weiterreichen. Schon früh ist dabei das württembergische Herrscherhaus involviert (von seinem ersten Porträt des Königs malt er 21 Kopien!), aber auch Schauspieler, die es zu etwas gebracht haben, sowie natürlich kunstsinnige Kaufleute.
Maß und Mitte
Stirnbrand ist mit Mitte 30 so erfolgreich, dass er sich, rein durch eigene Einnahmen finanziert (ein Stipendium hat er nie bekommen, obwohl König Wilhelm I. von Württemberg darin sehr großzügig war), die „Grand Tour“ nach Italien leisten kann. Stilistisch schaut er sich da was von den Nazarenern ab, orientiert sich aber auch an Ingres, und die Zeitgenossen vergleichen ihn natürlich vor allem mit Joseph Karl Stieler, dessen Porträts oft individueller, meist mit reicher orchestriertem Hintergrund versehen sind.
Doch Stirnbrand hält Maß und Mitte. Gerade damit kommt er in Schwaben an. Seine Hochwohlgeborenen wirken nie bombastisch, eher bescheiden, menschlich, auch ein bisschen bieder. Doch so will es die Epoche. Stirnbrand lernt auch dazu. Vom monochromem Hintergrund löst er sich bei Bedarf und kann auch bald schon Landschaft, Architektur, Interieur.
Wie gesagt: bei Bedarf. Und Geldbeutel. Denn das alles kostet. Wir verfügen im Falle Stirnbrands über ein interessantes Dokument: sein Einnahmebuch. Zwar nur für die Jahre 1813 bis 1851 geführt (der Künstler arbeitete aber unverdrossen weiter, bis er neunzig war), jedoch wir können an ihm ablesen, wie sich ein beliebter Porträtmaler, der auch Unternehmer sein musste, selbst vermarktete, wie er den damaligen Kunstmarkt geschickt bespielte. Roswitha Emele hat dieses Einnahmebuch, das lange als verschollen galt, wiedergefunden und erstmals systematisch ausgewertet. Was ist dabei herausgekommen?
Brustbild oder Kniestück?
Zunächst einmal die Erkenntnis, dass ein Künstler damals seine Ware klassifizieren muss. Darf es ein Brustbild zu 66 Gulden oder lieber ein Kniestück zu 88 Gulden, eventuell sogar eine Ganzfigur sein, die allerdings immer Verhandlungssache ist, weil sie sich ohnehin nur die ganz Vornehmen leisten können? Kniestücke sind deshalb so viel teurer als Brustbilder, weil man Hände malen muss.
Bestimmte Stoffe, Einrichtungsgegenstände, Gebäude im Hintergrund (in Schwaben geht ja die Grabkapelle auf dem Württemberg immer!) kosten extra. Preise werden aber auch ad personam gemacht. Für die Verwandten in Österreich arbeitet der Meister gratis. Adel zahlt mehr als Bürgertum. Für zwei Schlachtenbilder berappte der König 1851 den Rekordpreis von je 800 Gulden.
Nach Stirnbrands Einheirat in die „schwäbische Erbarkeit“ kam es zu Freundschaftspreisen für die Verwandten seiner Frau. So erfährt der Verfasser dieser Zeilen nach 182 Jahren, dass sein Ur-Ur-Ur-Großvater August von Köstlin 1840 für das Bildnis seines früh verstorbenen Töchterleins Adelheid (ganzfigurig, aber da war ja noch nicht viel Figur) nur 50 Gulden zahlen musste. Denn Ur-Ur-Ur-Großmama Wilhelmine war eine Cousine von Stirnbrands Gattin. Aber was sind 50 Gulden? Wie kann man das in Euro übersetzen? Die Faustregel, Guldensumme mal zehn (also nur 500 Euro für das Adelheidle?!), gilt wohl nicht mehr. Eine andere Umrechnung hat sich jedoch auch nicht durchgesetzt. Festhalten kann man jedenfalls, dass Stirnbrand von 1813 bis 1851 an seinen Honoraren nichts geändert hat – über fast vier Jahrzehnte hinweg.
Stattliches, schönes Haus
Trotzdem ist er damit sehr wohlhabend geworden. Ein (O-Ton Cousine Wilhelmine) so „stattliches, schönes neues“ Haus wie das der Stirnbrands in der Alleenstraße, zu dessen Einweihung am 6. Dezember 1838 auch Köstlins eingeladen werden, konnten damals nur sehr wenige Künstler aus eigenen Mitteln finanzieren. Das Vermögen aus den Einnahmen von 1813 bis 1851 hochgerechnet, so Roswitha Emele, ergäbe jedenfalls ein Jahreseinkommen, das dem eines höchstbezahlten Universitätsprofessors entsprach. In Wahrheit lag es wohl deutlich darüber, denn mit den Jahren nach 1851 stieg Stirnbrands Ruhm stetig weiter, bis dann im Laufe der 1860-er Jahre sein Stern verblasst.
Als biedermeierlicher Klassizist war Stirnbrand in den letzten Jahrzehnten seines Lebens der Späteste der Späten. Aber eine südwestdeutsche Berühmtheit blieb er bis zum Schluss. Ihn kunsthistorisch erstmals eminent kenntnisreich erschlossen zu haben, ist das große Verdienst der Arbeit von Roswitha Emele. Wer sich in dieses schon optisch so wunderbare Buch vertieft, darf eine wunderbare Zeitreise unternehmen. Soviel 19. Jahrhundert, soviel Kultur- und Geistesgeschichte Schwabens von dessen schönster Seite bekommt man selten. Für jeden Württemberg-Fan ist dieses Buch ein Muss. Für jeden Freund der Porträtmalerei unverzichtbar.
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