Mit Zensur, Überwachung und Sozialpunktesystem setzt Peking nicht nur das chinesische Mutterland unter Druck, sondern zunehmend auch Hongkong. Inwiefern das die Kunstszene der Metropole, ihren wichtigen Kunstmarkt betrifft und ob sie wieder zu ihrer alten Blüte zurückfinden wird, erklärt Lihsin Tsai. Seit 2017 leitet sie die Galerie Hauser & Wirth in Hongkong. Zuvor hat sie unter anderem den Nachtclub-Unternehmer Qiao Zhibing beim Aufbau seiner Sammlung in Shanghai beraten. Hauser & Wirth ist mit 17 Standorten eine der größten Kunstgalerien weltweit.
WELT: Die letzte Kunstmesse Art Basel Hong Kong stand ganz im Zeichen der Pandemie-Restriktionen in China. War überhaupt jemand da?
Lihsin Tsai: Die Art Basel Hong Kong 2021 war nicht so glamourös. Aber dieses Jahr war es wieder anders. Viele Besucher aus China besitzen einen Hongkong-Pass und umgekehrt – somit ist es einfach, mit dem Return2HK-Reisepass hin- und herzureisen, ohne in Quarantäne zu müssen. Viele Sammler aus Shanghai kamen zu unserem Stand.
Tsai: Ja und nein – natürlich konnten viele Kunstkäufer aus Korea und China nicht physisch dabei sein. Aber viele kaufen generell gerne aus der Ferne. Auf der Messe selbst haben wir im Livestream eine Führung gegeben und hatten Video-Chats mit Sammlern, denen wir in Echtzeit Werke zeigten und ihre Fragen beantworteten. Aber: Wir hatten auch neue Sammler aus Hongkong und China, die direkt am Stand gekauft haben! Unsere schwarze Bronzeskulptur von Paul McCarthy „WS, White Snow and Prince on Horseback (2ft, Bronze)“ wurde für 275.000 US-Dollar von einem sehr jungen Paar aus China erworben, das in der Kreativbranche arbeitet.
WELT: Wir hörten von „ghost booths“, Stände ohne Galeristen und ohne Team.
Tsai: Ja, aber um diese Geisterstände wurde sich sehr gut gekümmert, wie bei Vitamin Space aus Guangzhou. Es gab Mitarbeiter, die aushalfen und bestens informiert waren.
WELT: Wie gehen Sie mit der aktuellen politischen Situation um, mit Chinas wachsendem Einfluss?
Tsai: Hongkong bleibt der Freihandelshafen für Kunst und der Sitz der größten Auktionshäuser der Welt, Sotheby’s, Christie’s und Phillips. Aber als Schweizer Galerie, mit dem Hauptsitz auf neutralem Boden, können wir nicht sagen, dass wir dafür oder dagegen sind. Die Zensur richtet sich vor allem gegen bestimmte Informationen, die in unserer Kunst und bei unseren Künstlern nicht vorkommen. Sexuell explizite Nacktheit etwa. Oder Kunstwerke, die in chinesischer Schrift die Regierung beleidigen. Wir aber haben bisher keine Probleme gehabt.
WELT: Wie hat sich der Geschmack in Asien zuletzt verändert? Die chinesischen Sammler waren lange bekannt dafür, unzuverlässig zu sein.
Tsai: Die Zeiten haben sich geändert, ihre Haltung ist heute viel besser als früher. Schauen Sie allein auf die private Museumslandschaft: Die ist eine ganz andere und sehr viel größere als vor zehn Jahren. Unsere Kunden sind viel besser vorbereitet. Und sie kaufen noch immer Werke, mit denen sie leben können: was sie ins Wohnzimmer hängen oder in ihre Lobby stellen können. Auch historisch wichtige Meister sind relevant: Unsere letzte Schau von Lee Lozano in New York hat ein chinesisches Privatmuseum interessiert. Andere Sammler mögen lieber George Condo oder Nicolas Party. Jeder hat seinen eigenen Weg, eine Sammlung aufzubauen.
WELT: Wie konkurriert Hongkong mit Singapur und Seoul, in denen bald ebenfalls international ausgerichtete Kunstmessen veranstaltet werden?
Tsai: Hongkong ist etabliert und hat 30 Jahre Erfahrung. Es ist eine sehr offene und traditionelle Stadt, denken Sie nur an das Museum M+ und das Palastmuseum. Wir arbeiten mit lokalen Non-Profit-Organisationen wie Para Site und Asia Art Archive zusammen. Seoul ist momentan ein Hotspot, und Hauser & Wirth nimmt natürlich im September an der Kunstmesse Frieze Seoul teil. In Singapur war ich seit fünf Jahren nicht. Natürlich ist es zweifellos ein Finanzzentrum. Aber aus der hiesigen Perspektive ziemlich weit weg.
WELT: Wollen Ihre Künstler noch in Hongkong ausstellen?
Tsai: Sie sind ganz wild darauf, sowohl in Hongkong als auch in China auszustellen! Das ist eine Tatsache. Am 30. Juni eröffnet Nicolas Party seine erste Einzelausstellung hier bei uns. Auch Pipilotti Rist war da, im Herbst zeigt sie ihre Ausstellung im Tai Kwun Hongkong – nächstes Jahr stellt sie im UCCA in Peking aus. Roni Horn bereitet ihre Schau im He Art Museum in China vor. Sie geben uns ihre besten Werke. Alle sind felsenfest davon überzeugt, dass Hongkong die Zukunft ist.
WELT: Aber wie gehen Sie damit um, dass die Dinge sich nun einmal gerade ändern, dass die Freiheit durch Zensur immer mehr unterminiert werden wird? Wie empfinden Sie persönlich diese Einschränkungen?
Tsai: Nun ja, wir sind alle bestens informiert. Ich bin in Peking aufgewachsen, kenne also die chinesische Kultur und ihre verschiedenen Bewegungen und ständigen Neuigkeiten sehr gut. Natürlich wissen wir in Hongkong ganz genau, was los ist. Aber wir müssen eben einen Weg finden, mit dieser neuen Dynamik zu leben. Wir werden sicher nicht die Tür schließen und das Programm abziehen – sondern einen noch besseren Weg finden, die Stadt lebendig zu halten.
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