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cultură şi spiritualitate

Eine Lange Nacht über die „Kindertransporte“ 1938/39

Endstation Ungewiss

Von Jochanan Shelliem

Nicholas Winton rettete jüdische Kinder vor den Nazis. (picture alliance / dpa / Tomas Turek)
Nicholas Winton rettete jüdische Kinder vor den Nazis. (picture alliance / dpa / Tomas Turek)

Als der junge Brite Nicholas Winton im November 1938 Prag besucht, schockieren ihn Flüchtlingsfamilien hinter Bretterverschlägen und hungernde Kinder. Er kauft 1000 Kindern eine Fahrkarte über den Kanal – und rettet sie. Ein Beispiel über Kindertransporte vor Kriegsbeginn.

„Wenn etwas unmöglich ist, muss man einen Weg finden, es zu tun.“ Wie einer, der das Elend der Flüchtlingskinder in Prag nicht ausgehalten hat, 15.000 Menschen zum Leben verhalf. Mehr als 15.500 jüdische Säuglinge, Kinder und Jugendliche haben dank der Kindertransporte von Nicholas Winton zwischen dem 30. November 1938 und dem 1. September 1939 überlebt. Diese Kindertransporte sind in dem Film „Sir Nicky – Held wider Willen“ von Matej Mináč dokumentiert.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Im Dienste der Menschlichkeit

2015 verstarb Nicholas Winton geachtet und geadelt im Alter von 106 Jahren. 2013 wurde der kleine zarte Mann im Rollstuhl noch von seinen gealterten Kindertransportkindern in London umringt. Sein Handeln im Flüchtlingselend von Prag hielt Nicholas Winton für derart selbstverständlich, das er vierzig Jahre lang darüber schwieg, bis seine Frau auf dem Dachboden ihres Hauses einen Koffer mit Briefen fand. „Ich sah diese Menschen, die in Schwierigkeiten waren, in Gefahr gewesen sind, Menschen, mit denen Hitler etwas vorhatte.“

Eines dieser Kinder war Henry Wuga. Seine Mutter kam aus Heilbronn, sein Vater kam aus Graz und war Prokurist bei einer Firma in Nürnberg. Der Vater war katholisch, die Mutter jüdisch. „Wir hatten jüdische Freunde und nicht-jüdische Freunde, aber nach 1933, nach der Machtergreifung von den Nazis, hat sich das natürlich geändert, man hat dann nur in jüdischen Kreisen verkehrt, besonders nach den Nürnberger Gesetzen von 1935, das war furchtbar. Ich kann mich erinnern, in der Schule, in der Volksschule, da waren drei jüdische Jungens in meiner Klasse. Wir wurden hinten hingesetzt und niemand hat mit uns gesprochen, weder die Kinder noch die Lehrer. Warum? Die Leute haben Angst gehabt: Hab nichts mit Juden zu tun, sonst bekommst du keine bessere Stelle. (...) Wir wussten, hier können wir nicht bleiben, schon als Kinder, das war kein gewöhnliches Aufwachsen.“

In Prag wurde Nicholas Winton von Hilfesuchenden bestürmt. „Alle sagten mir, in Prag gäbe es keine Hilfsorganisation für diese Kinder. Und alleine würde sie sowieso niemand reinlassen, aber ich könnte es ja versuchen, nur zu. Mein Motto war immer – Für alles, was nicht vollkommen unmöglich ist, gibt es einen Weg.“

Mit den Augen der Kinder

Henry Wugas Fahrt über England nach Schottland war „schlimm, aber, ich war ja mit 14 schon einmal von zu Hause weg. Ich wusste was passiert. Der Zug war voll, vielleicht 150 Kinder, fünf, sechs, sieben und acht Jahre alt. Noch nie von ihrem Vater oder Mutter weg gewesen. Die haben nicht geweint, die haben geheult. war wirklich furchtbar.“

Helen Stern hatte Glück, sie fuhr zusammen mit ihren beiden Schwestern im Zug. „Nach fünf Stunden kam der Zug über die Grenze nach Holland. Da hat sich diese ganze Schwerheit von den Schultern aufgehoben. Sogar die kleinen Kinder haben aufgehört zu weinen. Wir waren in einem freien Land, nicht nur hat der Zug gehalten, da waren Damen mit heißer Schokolade, mit Sandwiches, mit Äpfeln. Es war phantastisch. Sogar die kleinen Kinder haben gemerkt, hier ist es anders!“

Helens Trennung von ihren Schwestern war allerdings ein Schock: „Wir Schwestern wurden getrennt. Die Älteste kam in ein Flüchtlings-Kinderheim in London, eine Quäker Familie nahm meine kleine Schwester auf. " Als wir das Kinderheim an der Küste verließen, waren wir auf uns selbst gestellt.“ Nach ihrer Ankunft auf sich selbst gestellt stand den Kindern eine schwere Zeit bevor. Neun Monate vor der Kriegserklärung Winston Churchills kamen die letzten Flüchtlingskinder auf der englischen Insel an.

Walter Kaufmann, Sohn einer minderjährigen Prostituierten, adoptiert von Duisburger Juden, erinnert sich: „Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof und da waren viele, viele Kinder... aus Duisburg... vielleicht aus Düsseldorf... Mühlheim/Ruhr und wir wurden aufgeteilt in vielen verschiedenen Abteilen in diesem Zug, der bereitstand für uns und ich erinnere mich nicht an diesen Zug, nur an das Abteil, in dem ich war. Tiefes Schweigen. Wir schwiegen... alle hatten wir den Abschied hinter uns... wir fuhren ins Ungewisse.“ Nach dem Krieg arbeitete Kaufmann in Australien, wohin es ihn auf abenteuerlichen Wegen verschlug, als Schlachthausarbeiter, Straßenfotograf und Seemann, seine Lehrjahre verbrachte er in den Docks. Aus dem Entwurzelten wurde ein Schriftsteller auf den Spuren von Egon Erwin Kisch. Von 1956 bis zu seinem Tod am 15. April 2021 fand der Charakterproletarier und von der Stasi beobachtete Vorzeigeausländer Walter Kaufmann seinen Heimathafen in Ost-Berlin.

Begegnung mit der Vergangenheit

Wie erging es den geretteten Kindertransportkindern im und nach dem Krieg? Wie erging es ihnen, als sie ihren Eltern wieder gegenüberstanden? Jenen, die in die alte Heimat reisten, um ihr Elternhaus wiederzusehen?

Helen Stern und ihre Schwestern sollten ihre Eltern nie wiedersehen. „Zwei von uns lebten in London und meine kleine Schwester war irgendwo in Sussex untergebracht. Wir ließen unsere Verbindung nie abreißen, weil wir so selten Briefe von unseren Eltern erhalten haben. Am sechsten Juni 1942 wurden unsere Eltern deportiert. Das letzte Schreiben unserer Eltern erhielten wir im März 1942. Wir hatten immer angenommen, man habe sie in Auschwitz umgebracht, doch es scheint, das niemand weiß, wohin sie deportiert worden sind.“

André Asriel bekommt 1946 ein Stipendium für ein Studium in Berlin. „England war zwar etwas zerstört durch die deutsche Bomben aber verglichen mit Deutschland war das also alles völlig intakt. Dieses Meer von Ruinen, das ich hier gefunden hab. Das kann man nicht beschreiben, das war ein schrecklicher Schock für mich. Und dann das, womit ich nicht gerechnet hab, jeden, den ich auf der Straße gesehen hab, hab ich mir überlegt, war das ein Nazi, war der in der SS. Hat der vielleicht Leute umgebracht? Das wusste man ja leider nicht. Das war den Leuten nicht anzusehen. Wie sieht ein Mörder aus? Das war also sehr schwer hier Fuß zu fassen für mich. Und ich wäre auch beinahe wie viele meiner Jugendfreunde nach England zurückgekehrt.“

Helen Stern erzählt von der Erfahrung ihrer Schwester Josie, die „fand in unserem Elternhaus keine Spuren unserer Familie vor. Nicht einen Faden unserer Habe. Sie bat eine Frau, bei der sie die Nähmaschine unserer Mutter sah, sie ihr zurückzugeben. Das tat sie nicht. Drei fremde Familien lebten in unserem Haus. Drei weitere Familie in Großmutters Haus. Und niemand war bereit, etwas zurückzugeben. Josie kam zu uns zurück und wir beschlossen, nicht mehr hinzufahren. Wir sagten

Ausdruck des Leids in der Literatur

In ihrem Roman „Landgericht“ spürt Ursula Krechel den seelischen Kriegsschäden der jüdischen Familie Kornitzer nach. „Literatur kann das, sie kann tiefer gehen als Zeitzeugen, die sich schützen müssen.“ Sie schildert die verlorene Identität jener Kinder: „Etwas anderes wäre es gewesen, die Kinder hätten in dem Zusammenhang, indem sie nun einmal lebten, tapfer und energisch gesagt, sie seien Juden, sie wollten nicht zur Kirche gehen und man solle sie mit allem Möglichen in Ruhe lassen. Doch das konnten sie nicht, denn sie waren keine Juden, weil sie sich nicht als solche fühlten. In Wirklichkeit waren sie NICHTS. Aber so waren Kinder nun einmal, sie wollten sich nicht unterscheiden, auch nicht NICHTS sein, aber das war ein schwieriger Gratgang. Nichts war wirklich NICHTS, NICHTS war keine Einladung, eher eine grundsätzliche Abweisung jeglichen Mitgefühls. Wenn sie anders waren, wenn sie sich unterscheiden mussten, schämten sie sich zu Tode. Also lieber genau so sein wie die englischen Kinder, und ohne Akzent und fehlerfrei sprechen.“

Robert Menasse, Jahrgang 1954, der Erstgeborene von Hans Menasse, Jahrgang 1930, dem durch einen Kindertransport Geretteten, – zur Zeit von Roberts Geburt war Hans Menasse Fussballidol – Robert wurde Schriftsteller, Politologe und Philosoph und Bruder von Eva Menasse, Chronistin des Menasse-Clans. „Vienna“ heißt ihr Roman, der sich auch mit dem Thema Kindertransporte auseinandersetzt.

Das Cover des Buches „Vienna” von Eva Menasse vor Deutschlandfunk Kultur Hintergrund. (Kiwi Verlag / Deutschlandradio)Eva Menasse: Vienna. (Kiwi Verlag / Deutschlandradio)

Robert Menasse: „Ich habe das alles erst viel, viel später erfahren. Die Geschichte mit dem Kindertransport zum Beispiel meines Vaters, der damals mit acht Jahren in einen Zug gesetzt wurde von den Eltern und dann alleine mit ihrem älteren Bruder nach England gekommen ist. Das habe ich erst viel, viel später erfahren und dann, als ich es erfahren habe, habe ich überhaupt nicht verstehen können, dass mein Vater mich in ungefähr diesem Alter in einen Zug gesetzt hat, der mich in ein anderes österreichisches Bundesland gebracht hat, um dort ins Internat zu meiner Schulzeit zu verbringen. Ich habe ihn dann einmal darauf angesprochen und er hat verstanden, dass ich das assoziiert habe, seinen Kindertransport und meine Bahnfahrt weg von den Eltern in ein Internat.“

Verlorene Identität

In der DDR wird die jüdische Erfahrung der Kindertransportenkel verdrängt. Gelten die traumatischen Erfahrungen der Kinderflüchtlinge und die Irritationen ihrer Enkel in den USA als integrales Element ihrer amerikanisch-jüdischen Identität, das von ihnen eifersüchtig verteidigt wird, so schweigen die ostdeutschen Nachkommen der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen, denen die Ermordung drohte. Juden schweigen in der DDR.

Nach dem Mauerfall ist André Herzberg auf einmal kein Star mehr – wer kannte in der BRD die Rockband Pankow – nach der Wende stürzt er ab, tief in die Depression. Und findet seine Heimat in der Rebellion und seinem Judentum. „Was aus uns geworden ist“, heißt sein Roman, in dem er seiner Erfahrung Ausdruck verleiht.

Andre Herzberg von der Band Pankow. (imago / POP-EYE / Christina Kratsch)Andre Herzberg von der Band Pankow. (imago / POP-EYE / Christina Kratsch)

Erst nach dem Tod seiner Mutter entdeckt er die Briefe seiner Großmutter, im Schreibtisch der Mutter. „Und diese Briefe. Als ich mir die dann vorgelesen habe hatte ich das erste Mal in meinem Leben die Stimme meiner Großmutter im Ohr. Also ich war davon wahnsinnig erschüttert, weil diese ganz wunderbar auf so eine warme innige intime Weise mit meiner Mutter schimpft, dass sie sich ihre Socken stopfen soll, dass sie ordentlich sein soll, dass sie sogar ab und zu mal in die Synagoge gehen soll und wie sich meine Oma ausgemalt hat, wie sie dann auch nach England kommen wird und mit meiner Mutter durch die Stadt laufen wird, durch London laufen wird und meine Mutter, die also schon eine Weile da ist, ihr das zeigen kann und wie schön es sein wird, wenn sie bei der Tochter sein wird. Das habe ich aber erst jetzt erfahren und es war sehr bewegend, sehr berührend für mich.“

Literatur:
Eva Menasse: „Vienna“, Roman, btb München, 2007
Ursula Krechel: „Landgericht“, Salzburg 2012

Film:
Joe Schlesinger IN Sir Nicky, Held wider Willen – ein Film von Matej Minác, Fechner Media, Immendingen 2012 (Trailer)

Das vollständige Skript zu dieser Langen Nacht finden Sie hier.

Eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur/Deutschlandfunk 2021.

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