Es ist der größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Bänker, Anwälte, Investoren haben von 2001 bis 2016 den deutschen Staat mit Steuertricks und Aktiengeschäften um Milliardensummen betrogen: durch das klassische Cum-Ex-Geschäft um mindestens 10 Milliarden Euro und mit den verwandten und später ausgeführten Cum-Cum-Geschäften um weitere 20 Milliarden Euro. Beide Vorgehensweisen haben eine gemeinsame Grundstruktur, unterscheiden sich aber.
Am 28. Juli hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Cum-Ex-Geschäfte sind rechtswidrig. In dem ersten höchstrichterlichen Urteil entschieden die Richter, dass es sich bei den Cum-Ex-Geschäften von Investoren und Banken um strafbare Steuerhinterziehung handelt. Auch die Gewinne aus den Geschäften können nun eingezogen werden. Mit dem Grundsatzurteil bestätigte das Gericht auch die Verurteilung zweier Aktienhändler wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Außerdem wurde die Warburg Bank verurteilt, 176 Millionen Euro an die Staatskasse zu zahlen.
- Was sind Cum-Ex-Geschäfte?
- Was versteht man unter Cum-Cum-Geschäften?
- Welche Bedeutung hat das BGH-Urteil
- Was wurde bisher getan, um Cum-Ex-Geschäfte zu unterbinden?
Was sind Cum-Ex-Geschäfte?
Bei Cum-Ex-Geschäften werden Steuern gleich mehrfach zurückgefordert. Dabei machen es die handelnden Akteure dem Staat schwer zu entscheiden, wer Anspruch auf diese Steuerrückerstattung hat. Wem die Aktien wann gehörten, konnten Finanz- und Aufsichtsbehörden lange nicht nachvollziehen.
Cum-Ex-Geschäfte sind eine bestimmte Form von Aktiendeals um den Dividendenstichtag einer Aktiengesellschaft herum. Investoren und Banken handeln Aktien eines DAX-Konzerns mit ("cum") und ohne ("ex") Dividende, also der Gewinnbeteiligung der Anleger. Auf die Dividende wird bei Privatpersonen automatisch eine Kapitalertragssteuer in Höhe von 25 Prozent erhoben. Institutionelle Investoren, wie zum Beispiel Fonds oder Banken, sind von der Steuer ausgenommen. Sie können sie vom Staat zurückfordern.
Beispiel für Cum-Ex-Deals mit drei Akteuren:
Eine Aktiengesellschaft steht kurz vor ihrem Dividendenstichtag. Großinvestor A hält ein Aktienpaket dieser Aktiengesellschaft. Die Aktien sind aktuell vergleichsweise viel wert, da die Dividende noch eingepreist ist. Käuferbank B kauft nun Aktienpakete dieser Aktiengesellschaft als Leerverkäufe von einem dritten Akteur C (nicht von A!). Das heißt: Leerverkäufer C hat zu diesem Zeitpunkt die Aktien (noch) nicht in seinem Besitz. A kassiert am Stichtag die Dividende und zahlt darauf Steuern. Dafür bekommt er eine Bescheinigung. Mit dieser kann er unter bestimmten Bedingungen die Steuern wieder zurückfordern und tut das auch.
Nachdem die Dividende ausgezahlt wurde, hat die Aktie an Wert verloren. Jetzt kauft Leerverkäufer C sich die Aktien von Großinvestor A zu dem aktuell geringeren Wert (minus Dividende). Leerverkäufer C liefert dann die Aktien an Käuferbank B und zahlt dieser wegen des Wertverlusts einen Ausgleich. Diese Entschädigung entspricht aber wiederum nicht der vollen Höhe der Dividende, sondern der Netto-Dividende (Dividende minus der Kapitalertragssteuer). Leerverkäufer C macht also ein gutes Geschäft.
Die Käuferbank B hat aber auch keinen Verlust: B bekommt eine Steuerbescheinigung für die vermeintlich abgeführte Kapitalertragssteuer (sie hatte ja ursprünglich Cum-Aktien gekauft) und holt sich ihr fehlendes Geld durch die Rückerstattung vom Staat zurück. Die Käuferbank B verkauft die Aktien wieder an Großinvestor A zu dem Preis, zu dem A sie an den Leerverkäufer C verkauft hat. Käuferbank B und Aktionär A können sich so die vermeintlich gezahlten Steuern insgesamt zweimal zurückerstatten lassen und sich die „Rendite“ durch Provisionen und Beraterhonorare untereinander aufteilen.
Was versteht man unter Cum-Cum-Geschäften?
Cum-Cum-Geschäfte laufen ähnlich ab. Hier geht es aber darum, Steuerregeln für ausländische Inhaber deutscher Aktien zu umgehen. Ein ausländischer Inhaber deutscher Aktien, zum Beispiel ein Pensionsfonds in den USA, kann keine Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragen. Deshalb verleiht er seine Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag an eine deutsche Bank oder einen Spezialfonds, die die Steuer zurückfordern können. Kurz nach der Ausschüttung wird die Leihe beendet und die deutsche Bank zahlt einen vereinbarten Leihbetrag, der niedriger ist als die Dividende.
(Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Welche Bedeutung hat das BGH-Urteil?
Das BGH-Urteil ist richtungsweisend, weil im Cum-Ex-Komplex noch zahlreiche Strafverfahren vor deutschen Gerichten anhängig sind. Alle Akteure hatten bisher immer gesagt, sie hätten nur ein Steuerschlupfloch genutzt. Dem erteilte der BGH nun eine klare Absage. Aus dem Gesetz habe sich eindeutig ergeben, dass nur eine tatsächlich gezahlte Steuer gegenüber den Finanzbehörden geltend gemacht werden könne, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Raum: „Eine Lücke gab's hier nicht.“
Der Wirtschaftsprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim sieht in dem Urteil zwei bedeutsame Dimensionen. Zum einen die Strafbarkeit der Tat. Außerdem die Tatsache, dass die Steuerschäden nun zurückgefordert werden können – und das nicht nur bei individuellen Tätern, sondern auch bei den Banken. Bei der Generalstaatsanwaltschaft in Köln werde in 70 Komplexen gegen mehr als 1.000 Beschuldigte ermittelt. „Ich bin recht optimistisch, dass man einen Großteil des gestohlenen Geldes zurückholen kann“, so Spengel im Dlf.
Einschätzung des BGH-Urteils von Wirtschaftsprofessor Christoph Spengel (05:51) [AUDIO]
Spengel hofft auch, dass die Politik nun reagiere. Denn die Geschäfte seien bis heute noch möglich. Es bedürfe klarer Änderungen im Abrechnungssystem der Kapitalertragssteuer, um zu verhindern, dass Steuern mehrfach erstattet werden. „Dieser Zustand in unserem Land ist unerträglich.“
In der Politik wurde das Urteil zumindest kommentiert. So hat der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, die Finanzbehörden aufgefordert, die erschlichenen Gelder uneingeschränkt zurückzuholen. Das müsse jetzt mit allem Nachdruck betrieben werden, sagte er der „Rheinischen Post“. Der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion, De Masi, nannte das Urteil des Bundesgerichtshofs eine Ohrfeige für Finanzminister Scholz. De Masi warf dem SPD-Politiker vor, in seinem früheren Amt als Erster Bürgermeister von Hamburg Bankiers getroffen zu haben, die in anderen „Cum-Ex“-Verfahren involviert sind. Der Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ sprach von einem guten Tag im Kampf gegen Finanzkriminalität.
(picture alliance / dpa / Arne Dedert)Wer haftet für Cum-Ex-Geschäfte?
Gerichte in Deutschland müssen klären, ob es sich bei Cum-Ex-Geschäften bloß um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte – oder ob die Beteiligten illegal gehandelt haben.
Was wurde bisher getan, um Cum-Ex-Geschäfte zu unterbinden?
Zu wenig, kritisiert Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende. „Aus der Finanzbranche ist in den letzten Jahren immer wieder gezielt versucht worden, Abwehranstrengungen des Staates auszubremsen und zu verwässern.“
Das Bundesfinanzministerium betont hingegen gegenüber dem Dlf: „Die Finanzverwaltung verfolgt mit Nachdruck die Aufklärung einschlägiger Cum-Ex-Gestaltungen.“ Seit Anfang 2020 gebe es beim Bundeszentralamt für Steuern eine spezielle Einheit für die Bekämpfung von Steuergestaltung. Zudem soll ein Gesetz eingeführt werden, das Banken verpflichtet, dem Bundeszentralamt für Steuern mehr Daten zu Dividendenzahlungen zu übermitteln. Auch der gesetzliche Schutz für Whistleblower soll verbessert werden.
(Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Zudem gibt es seit 2011 neue Auszahlungsregeln. Die Aktiengesellschaften überweisen seither die Dividenden brutto an die Deutsche Börse, welche sie an die Depotbanken verteilt. Diese Depotbanken führen die Kapitalertragssteuer ans Finanzamt ab. „Und nur wer Steuer abführt, darf auch eine Bescheinigung ausstellen und damit fällt sozusagen das in eine Hand“, erklärt der Mannheimer Betriebswirt Christoph Spengel im Dlf.
Spengel hält es allerdings für möglich, dass „Cum-Ex-Geschäfte in abgewandelter Form wohl immer noch am Markt anzutreffen sind“ und fordert einen besseren Austausch zwischen Finanzämtern, also Landesbehörden, und dem Bundeszentralamt für Steuern, einer Bundesbehörde. „Das geht hier um Steuergelder im Milliardenbereich, die seit Jahren zu Unrecht erstattet werden und das ist verdammt nochmal die Hauptaufgabe eines jedes Finanzministers, dass das System gegen Betrug schützt.“
Quelle: Deutschlandfunk, finanzwende.de, dgb, dpa, og
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