Sogar während der beiden Weltkriege wurde in Notre-Dame Weihnachten gefeiert. Doch die Folgen des Großbrands im Frühjahr führen nun dazu, dass in der römisch-katholischen Kathedrale zum ersten Mal seit 200 Jahren keine Christmette stattfindet.

In dem 855 Jahre alten Pariser Wahrzeichen bleibt es in diesem Jahr dunkel. Kirchen und Behörden bemühen sich aber, mit Gottesdiensten, Gesängen und Gebeten den Geist von Notre-Dame im Exil lebendig zu halten. Pfarrer, Liturgie und Weihnachtsfeierlichkeiten wurden für die Dauer des Wiederaufbaus in die nahe gelegene gotische Kirche Saint-Germain-l'Auxerrois verlegt. Zur Mitternachtsmesse an Heiligabend werden viele katholische Gläubige erwartet, die normalerweise Notre-Dame besuchen würden.

Das Feuer vom 15. April hatte weite Teile des Dachstuhls und den hölzernen Vierungsturm zerstört, die beiden Haupttürme konnten knapp gerettet werden. "Dies ist das erste Mal seit der Französischen Revolution, dass es keine Mitternachtsmesse (in Notre-Dame) geben wird", sagt Pfarrer Patrick Chauvet. Der Weihnachtsgottesdienst im Exil in Saint-Germain-l'Auxerrois werde ein historischer Moment sein: "Wir haben die Möglichkeit, die Messe sozusagen außerhalb der Mauern zu feiern", sagt Chauvet. "Aber mit einigen Zeichen, dass Notre-Dame mit uns verbunden ist."

Zu diesen Symbolen gehört ein hölzerner Ambo, eine Art Kanzel, der nach dem Vorbild des Podests von Notre-Dame in Saint-Germain nachgebaut wurde. Auch die gotische Skulptur der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind wurde ins Ausweichquartier gebracht. Das etwa zwei Meter hohe Meisterwerk aus dem 14. Jahrhundert war von der Zerstörung verschont geblieben – wie durch ein Wunder, sagt Chauvet. Ihn tröste die Anwesenheit der Statue, sagt der Pfarrer: "Sie hat in Notre-Dame gelebt. Sie hat die Pilger gesehen, all die 35.000 Besucher am Tag ... Sie gibt uns Kraft weiterzumachen."

Der Bischofssitz bleibt in Notre-Dame

Man bemüht sich um Normalisierung. Nach monatelanger Unterbrechung wird seit November bei Einbruch der Dunkelheit wieder die Fassade der Kathedrale angestrahlt. So sind auch die berühmten Wasserspeier und Steinstatuen von den umliegenden Brücken aus abends erkennbar. Der Vorplatz der Kirche bleibt allerdings weiter gesperrt.

Die Pfarrkirche Saint-Germain-l'Auxerrois wurde sowohl wegen der Nähe zu Notre-Dame als auch wegen ihrer prestigeträchtigen Geschichte als Übergangsherberge ausgewählt. Sie war einst die bevorzugte Kirche der Könige, als diese im benachbarten Louvre residierten. Seit September ist die Gemeinde der Kathedrale nun jeden Sonntag in Saint-Germain zu Gast. Kirchenvertreter legen aber großen Wert darauf, dass Notre-Dame nur liturgisch umgezogen sei und offizielle Kathedrale von Paris bleibe, solange der physische Sitz des Bischofs, die "Cathedra", nicht verlegt worden sei.

Umziehen mussten indes nicht nur die Gläubigen, sondern auch die 160 Chorsängerinnen und -sänger von Notre-Dame. Die Christmette war immer ein besonderes Ereignis im Jahr: eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen der ganze Chor zusammen auftrat und die Akustik der Kathedrale voll ausnutzte. Anstatt sich aufzulösen, teilte sich der Chor mit Mitgliedern im Alter zwischen sechs und 30 Jahren auf. Verschiedene Sektionen geben nun Konzerte in anderen Kirchen. Am Heiligen Abend treten die Sängerinnen und Sänger bei verschiedenen weihnachtlichen Anlässen auf, unter anderem auch in Saint-Germain-l'Auxerrois.

Staatspräsident Emmanuel Macron hatte wenige Tage nach dem Brand erklärt, die Kathedrale solle innerhalb von fünf Jahren wiederaufgebaut werden. Experten halten diesen Zeitrahmen allerdings für unrealistisch.