[Die Autorin ist Direktorin der Sarikhani Collection London und Co-Kuratorin der Ausstellung "Iran. Kunst und Kultur aus fünf Jahrtausenden" in der James-Simon-Galerie, die bis zum 20. März dort zu sehen ist. Aus dem Englischen von Annika Brockschmidt]
An einem lauen Freitagabend vergangene Woche versammelte sich eine Menschenmenge in der Lolagar-Gasse in der Innenstadt von Teheran, um eine neue Ausstellung von Koosha Moosavis Werken in der Galerie für zeitgenössische Kunst Aaran Projects zu eröffnen. Unter dem Titel „Stagnation“ untersuchen diese neuen Werke die Beziehung des Menschen zu seiner Welt. Moosavi wird angetrieben durch die Verwüstung der Umwelt, vor allem durch Wasserknappheit und Bodenerosion, die die Bevölkerung im ganzen Iran betrifft.
In den vergangenen Wochen haben massive Proteste von Bauern und Bürgern in der historischen Stadt Isfahan, wo der Zayandeh-Rud-Fluss unter der Khaju-Brücke aus dem 17. Jahrhundert entlang floss, internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Moosavis klagende, sehnsüchtige Gestalten scheinen der Hoffnung zu trotzen. Und doch war die Eröffnung ein voller Erfolg, ein Großteil der ausgestellten Kunstwerke war bereits vor der Eröffnung verkauft. Hunderte versammelten sich, eine lautstarke Mischung von Künstlern, Intellektuellen und Sammlern, und bald wurde im Hof und in der Gasse fröhlich geplaudert.
Andere wanderten quer durch die Stadt zur Dastan Gallery in der Fereshte- Straße zur Eröffnung der aufstrebenden Künstlerin Atefeh Majidi Nekhad, deren Arbeit die Erfahrung von architektonischen Räumen erforscht. Immerhin ist Freitagabend der klassische Eröffnungsabend, und das ist die vertraute Aufregung und Begeisterung der zeitgenössischen Kunstszene in Teheran.
Der Iran ist eine alte und beständige Kultur
Dass es eine dynamische Kunstszene gibt, sollte uns nicht überraschen. Der Iran ist eine alte und beständige Kultur mit einer seit langem etablierten Identität. Auf seinem weiten Gebirgsplateau entstanden um 3000 vor Christus die ersten Städte und das geschriebene Wort, zeitgleich mit dem benachbarten Mesopotamien. Die persische Sprache wird seit dem 2. Jahrtausend vor Christus gesprochen, und der Name Iran wird seit dem frühen ersten Jahrtausend vor Christus verwendet. Die Denkmäler von Persepolis, dem antiken Sitz der Achämenidenkönige aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, sind dem westlichen Publikum bekannt. Man kennt farbenprächtige und blattgoldene Buchmalerei, glänzende Keramikkunst und die großen polychromen Paläste und Denkmäler in Isfahan, Kaschan und Shiraz.
Das Byzantinische Reich brachte dem Westen Objekte aus dem Nahen Osten – goldene Rhytons und Lapislazuli-Juwelen – und obwohl der Iran immer außerhalb der Reichweite mittelalterlicher Kreuzfahrer oder der späteren europäischen Reiche blieb, existierte er im ephemeren intellektuellen Äther im Westen und in Deutschland im 19. Jahrhundert in den Werken von Goethe, Hegel und Nietzsche. Jenseits orientalistischer Vorstellungen von luxuriösen Teppichen und sinnlicher Poesie existiert im Westen das Gefühl, dass der Iran ein Ort der Kultur ist.
Allerdings kann das internationale Publikum heute Schwierigkeiten haben, über die Schlagzeilen der Zeitungen hinauszukommen. Das Drama der Iranischen Revolution von 1979, die Kriegslust der Islamischen Republik und die scheinbare Undurchdringlichkeit eines Iran, der seit einem Großteil des vergangenen Jahrzehnts unter Sanktionen steht, machen es für Außenstehende zu einer Herausforderung, sich ein Leben in Teheran vorzustellen, geschweige denn eines, das reich und kultiviert ist.
Paris des Ostens
Natürlich wurde der Prä-Pahlavi-Iran vor 1979 als eine aufregende und liberale Kosmopolis angesehen, als das Paris des Ostens. Der Bruch und die Brutalität der Revolution und der achtjährige Iran- Irak-Krieg schufen eine neue Realität für den Iran, und die Anpassung war hart. Hunderttausende verließen das Land, darunter auch Künstler. Seit den 1990er Jahren ist eine gewisse Normalisierung eingetreten. Der Merkantilismus unter Präsident Rafasanjani (1989–97), gefolgt vom gemäßigten Muhammad Khatami (1997–2005), brachte eine liberalere Ära hervor. Es ist bemerkenswert, dass die Islamische Republik nie bilderstürmerisch war. Antike Denkmäler wurden streng bewacht und ehemalige Paläste in Regierungsgebäude umgewandelt. Das ikonische Symbol Teherans, der Shahyad- Turm, der wörtlich „Erinnerung an die Könige“ bedeutet, wurde einfach in Azadi – „Freiheit“ – umbenannt. Museen setzten ihre wichtige Arbeit mit Ausstellungen, Forschung und Publikationen fort. Bis 2001 waren mehr als 50 neue Galerien eröffnet worden, von denen viele Teil der internationalen Szene waren und beispielsweise an Biennalen, Art Basel, New York Armory, Paris Photo und FIAC teilnahmen, um nur einige zu nennen. Die Kulturszene umfasst Performance, Kino, Musik, Theater und Street Art. Natürlich ist das 21. Jahrhundert ein globales Google-Zeitalter, in dem zeitgenössische Kunst in einer grenzenlosen Welt lebt. Instagram und WhatsApp sind transnationale Portale.
Viele iranische Künstler entscheiden sich dafür, außerhalb des Landes zu leben, oft angetrieben von dieser Veränderung. Die Künstlerin Shirin Neshat sagte: „Meine Rückkehr in den Iran im Jahr 1990 hat mein Leben verändert … das Land hatte sich komplett verändert.“ Ihre nachfolgenden Arbeiten beschäftigten sich mit Genderfragen und dem Westlichen Blick. Andere Künstler wie Y.Z. Kami und Tala Madani fühlen sich freier, in den USA zu arbeiten. Zu den in Deutschland tätigen Künstler:innen zählen Timo Nasseri, dessen analytische und ästhetische Arbeit Architektur und Metaphysik erforscht, Shirin Sabahi, deren Werke Film und Artefakte umfassen, und die Multimedia-Installationskünstlerin und Aktivistin Parastou Forouhar.
Flucht in die Abstraktion
Aber andere bleiben – trotz der politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Einige arbeiten auf abstrakte Art und Weise. Sahand Hesamiyans ehrgeizige Experimente mit den materiellen Möglichkeiten architektonischer Arbeit haben Gebäude von den Nara-Tempeln in Japan bis zu den Stränden Dänemarks geziert. Aber auch Gender, Politik, Religion und Identitäten sind häufig behandelte Themen. Azadeh Akhlaghis’ Serie „By an Eyewitness“ rekonstruierte Attentate im Iran zwischen der konstitutionellen Revolution von 1906 und der Islamischen Revolution von 1979. Mit der Inszenierung des Todes der marxistischen Studentin Marzieh Ahmadi Oskuie durch die Geheimpolizei des Schahs im Jahr 1974 zeigt sie politische Unterdrückung und menschliche Rebellion. Künstler können auch Humor und Respektlosigkeit einsetzen. Khosrow Hassanzadehs Leuchtkasten-Selbstporträt fordert das Recht auf Selbstdarstellung als missverstandener Iraner zurück. Shirin Aliabadis gefeierte Miss Hybrid #3 repräsentiert mit ihrem blonden Haar und der operierten Nase Mädchen, die Spaß haben wollen.
Sanktionen haben das Leben unglaublich schwierig gemacht – nicht zuletzt im Kampf um die Beschaffung von Materialien. Hesamiya ist dankbar, dass er den von ihm verwendeten Edelstahl und Titan finden kann, obwohl die Preise um das 15-fache gestiegen sind. Internationales Banking ist fast unmöglich,was bedeutet, dass Künstler und Galerien beim Verkauf und Versand kreativ sein müssen. Der lokale Mittelstand ist fast ausgetrocknet. Die Zukunft scheint seit der Wahl des Hardliner-Präsidenten Ebrahim Raisi im Juni noch unklarer zu sein, eine weitere Welle des Braindrain droht.
Leidenschaft der Künstler für das Land
Aber diejenigen, die bleiben, zeigen bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit, und sogar Erfolg. Galeristen sprechen von dem zunehmenden internationalen Interesse und Platzierungen in großen globalen Museen. Die innenpolitischen Herausforderungen geben der Kultur Impulse und Bedeutung. Kiarash Ghavidel von der Fotogalerie The Silk Road spricht von der „Leidenschaft der Künstler" für ihr Land. Ihre Motive sind hier, sie werden von den sozialen und psychologischen Aspekten des Iran getrieben.“ Er rasselt Listen aktueller bedeutender Ausstellungen herunter, unter anderem im The Teheran Museum of Contemporary Art und der experimentellen Argo Factory.
Iranische Kunst in BerlinAls die Kalligraphie zur Keramik kam
Nazila Noebashari von den Aaran Projects wiederholt dies. „Künstler lieben es zu reisen, sie machen Gastaufenthalte – aber sie kommen gern wieder zurück.“ Sie spricht begeistert über die Arbeit ihrer Galerie, ihre Lage in der Innenstadt zwischen historischen Gebäuden und dem Treiben in den nahe gelegenen Cafés, Restaurants, Galerien, Werkstätten, Museen und Universitäten. „Kunst ist für uns so wichtig, sie gibt uns Sinn und Hoffnung. Kunst rettet alles.“
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