altmarius

cultură şi spiritualitate

Johann Wolfgang von Goethe,
Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828[1]
Signatur

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main als Johann Wolfgang Goethe; † 22. März 1832in Weimargeadelt 1782) gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung.

Goethe stammte aus einer angesehenen bürgerlichen Familie; sein Großvater mütterlicherseits war als Stadtschultheißhöchster Justizbeamter der Stadt Frankfurt, sein Vater Doktor der Rechte und kaiserlicher Rat. Er und seine SchwesterCornelia erfuhren eine aufwendige Ausbildung durch Hauslehrer. Dem Wunsch seines Vaters folgend studierte Goethe in Straßburg und Leipzig Rechtswissenschaft und war danach als Advokat in Wetzlar und Frankfurt tätig. Gleichzeitig folgte er seiner Neigung zur Dichtkunst, mit dem Drama Götz von Berlichingen erzielte er einen frühen Erfolg und Anerkennung in der literarischen Welt.

Als Sechsundzwanzigjähriger wurde er an den Hof von Weimar eingeladen, wo er sich schließlich für den Rest seines Lebens niederließ. Er bekleidete dort als Freund und Minister des Herzogs Carl August politische und administrative Ämter und leitete ein Vierteljahrhundert das Hoftheater. Die amtliche Tätigkeit mit der Vernachlässigung seiner schöpferischen Fähigkeiten löste nach dem ersten Weimarer Jahrzehnt eine persönliche Krise aus, der sich Goethe durch die Flucht nach Italien entzog. Die zweijährige Italienreise empfand er wie eine „Wiedergeburt“. Ihr verdankte er die Vollendung wichtiger Werke (TassoIphigenieEgmont).

Nach seiner Rückkehr wurden seine Amtspflichten weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkt. Der in Italien erlebte Reichtum an kulturellem Erbe stimulierte seine dichterische Produktion und die erotischen Erlebnisse mit einer jungen Römerin ließen ihn unmittelbar nach seiner Rückkehr eine dauerhafte, „unstandesgemäße“ Liebesbeziehung zuChristiane Vulpius aufnehmen, die er erst achtzehn Jahre später mit einer Eheschließung amtlich legalisierte.

Goethes literarische Produktion umfasst LyrikDramenEpikautobiografische, kunst- und literaturtheoretische sowie naturwissenschaftliche Schriften. Daneben ist sein umfangreicher Briefwechsel von literarischer Bedeutung. Goethe war Vorbereiter und wichtigster Vertreter des Sturm und Drang. Sein Roman Die Leiden des jungen Werthers machte ihn in Europa berühmt. Selbst Napoleon bat ihn zu einer Audienz anlässlich des Erfurter Fürstenkongresses. Im Bunde mit Schiller und gemeinsam mit Herder und Wieland verkörperte er die Weimarer Klassik. DieWilhelm-Meister-Romane wurden zu beispielgebenden Vorläufern deutschsprachiger Künstler- und Bildungsromane. Sein Faust errang den Ruf als das bedeutendste Werk der deutschsprachigen Literatur. Im Alter wurde er auch im Ausland als Repräsentant des geistigen Deutschland angesehen.

Im Deutschen Kaiserreich wurde er zum deutschen Nationaldichter und Künder des „deutschen Wesens“ verklärt und als solcher für den deutschen Nationalismusvereinnahmt. Es setzte damit eine Verehrung nicht nur des Werks, sondern auch der Persönlichkeit des Dichters ein, dessen Lebensführung als vorbildlich empfunden wurde. Bis heute zählen Gedichte, Dramen und Romane von ihm zu den Meisterwerken der Weltliteratur.

Leben

Johann Caspar Goethe,Aquarellminiatur von Georg Friedrich Schmoll, 1775
Catharina Elisabeth Goethe, Porträt von Georg Oswald May, 1776

Herkunft und Jugend

Johann Wolfgang von Goethe wurde am 28. August 1749 im heutigen Goethe-Haus am Frankfurter Großen Hirschgraben geboren und wurde evangelisch getauft. Sein aus Thüringen stammender Großvater Friedrich Georg Göthe (1657 bis 1730) hatte sich 1687 als Schneidermeister in Frankfurt niedergelassen und die Schreibweise des Familiennamens geändert.[2] Später war er als Gastwirt und Weinhändler zu Vermögen gekommen. Sein Sohn und Goethes Vater Johann Caspar Goethe (1710–1782) war promovierter Jurist, übte diesen Beruf jedoch nicht aus, sondern lebte von den Erträgen seines ererbten Vermögens, das später auch dem Sohn Leben und Studium ohne finanzielle Zwänge ermöglichen sollte.[3] Er war vielseitig interessiert und gebildet, jedoch auch streng und pedantisch, was wiederholt zu Konflikten in der Familie führte.

Goethes Mutter, Catharina Elisabeth Goethe, geb. Textor (1731–1808), entstammte einer wohlhabenden und angesehenen Frankfurter Familie; ihr Vater war als Stadtschultheiß der ranghöchste Justizbeamte der Stadt. Die lebenslustige und kontaktfreudige Frau hatte mit 17 Jahren den damals 38-jährigen Rat Goethe geheiratet. Nach Johann Wolfgang wurden noch fünf weitere Kinder geboren, von denen jedoch nur die wenig jüngere Schwester Cornelia das Kindesalter überlebte. Mit ihr stand der Bruder in einem engen Vertrauensverhältnis, das nach Ansicht des Biographen Nicholas Boyle und des Psychoanalytikers Kurt R. Eissler inzestuöseGefühle einschloss.[4] Ihren Sohn nannte die Mutter ihren „Hätschelhans“.

Die Geschwister erhielten eine aufwendige Ausbildung. Von 1756 bis 1758 besuchte Johann Wolfgang eine öffentliche Schule. Danach wurde er gemeinsam mit der Schwester vom Vater sowie von insgesamt acht Hauslehrern unterrichtet. Goethe erlernteLatein und Griechisch sowie Französisch, Italienisch, Englisch, Hebräisch und das „Judendeutsch“, das „in der Frankfurter Judengasse lebendige Gegenwart war“.[5] Letzteres und auch die lebendigen Sprachen wurden von muttersprachlichen Lehrern unterrichtet. Auf dem Stundenplan standen außerdem naturwissenschaftliche Fächer, Religion und Zeichnen. Überdies lernte er Klavier- und Cellospielen, Reiten, Fechten und Tanzen.[6]

Schon früh kam der Junge in Kontakt mit Literatur. Das begann mit den Gutenachtgeschichten der Mutter und mit der Bibellektüre in der frommen, lutherisch-protestantischen Familie. Zu Weihnachten 1753 bekam er von der Großmutter ein Puppentheatergeschenkt. Das für diese Bühne vorgesehene Theaterstück lernte er auswendig und führte es immer wieder mit Begeisterung gemeinsam mit Freunden auf. Erste Ansätze seiner literarischen Phantasie bewies der kleine Goethe auch mit seinen (nach eigener Aussage) „aufschneiderischen Anfängen“,[7] wunderliche Märchen zu erfinden und seinen staunenden Freunden in der Ich-Form zur spannenden Unterhaltung aufzutischen. Gelesen wurde viel im Hause Goethe; der Vater besaß eine Bibliothek von rund 2000 Bänden. So lernte Goethe schon als Kind unter anderem das Volksbuch vom Dr. Faust kennen. Im Zuge des Siebenjährigen Krieges war von 1759 bis 1761 der französische Stadtkommandant Graf Thoranc im Elternhaus einquartiert. Ihm und der mitgereisten Schauspieltruppe verdankte Goethe seine erste Begegnung mit der französischen Dramenliteratur. Angeregt durch die vielen erlernten Sprachen, begann er als Zwölfjähriger einen mehrsprachigen Roman, in dem in buntem Durcheinander alle Sprachen zur Geltung kamen.[8]

Seinen Biographen Nicholas Boyle und Rüdiger Safranski zufolge war Goethe zwar ein hochbegabtes Kind, aber kein Wunderkind wie etwa Mozart.[9] Er lernte schnell Sprachen und besaß eine „ganz unkindliche Gewandheit im Verfassen von Versen“. Er war „lebhaft, von überschäumendem Temperament und eigensinnig, aber ohne Tiefgang“.[10]

Studium und frühe Dichtung

Leipzig (1765–1768)

Goethe kurz vor seiner Studentenzeit in Leipzig, Ölgemälde von Anton Johann Kern
Hof der „Großen Feuerkugel“ – Goethes Studentenwohnung in Leipzig

Auf Weisung des Vaters begann Goethe im Herbst 1765 ein Jurastudium in Leipzig. Im Gegensatz zum eher altfränkischen Frankfurt war Leipzig eine elegante, weltoffene Stadt, die den Spitznamen Klein-Paris trug.[11] Goethe wurde wie jemand behandelt, der aus der Provinz kam, und musste sich zunächst in Kleidung und Umgangsformen anpassen, um von seinen neuen Mitbürgern akzeptiert zu werden. Von seinem Vater mit einem monatlichen Wechsel von 100 Gulden versorgt, verfügte er über doppelt so viel Geld wie ein Student selbst an den teuersten Universitäten damals benötigte.[12]

Goethe wohnte in Leipzig in einem Hofgebäude des Hauses Große Feuerkugel am Neumarkt.[13] Da während der Messe die Studenten ihre Unterkunft für die Händler frei machten, zog Goethe zur Messezeit auf ein Bauerngut in Reudnitz, einem Dorf östlich von Leipzig.[14]

Obwohl ihn sein Vater der Obhut des Professors für Geschichte und Staatsrecht, Johann Gottlob Böhme, anvertraut hatte und dieser Goethe den gewünschten Wechsel des Studienfachs untersagte,[15] begann er das Pflichtstudium schon bald zu vernachlässigen. Er gab dem Besuch der Poetikvorlesungen von Christian Fürchtegott Gellert den Vorzug, dem die Studenten ihre schriftstellerischen Versuche vorlegen konnten. Da Gellert Verse ungern annahm, reichte er Goethes poetische Versuche (u.a. ein Hochzeitsgedicht auf den Onkel Textor) gleich an seinen Stellvertreter weiter, der davon wenig hielt.[16] Der Maler Adam Friedrich Oeser, bei dem Goethe den Frankfurter Zeichenunterricht fortsetzte, machte ihn mit dem an der Antike orientierten Kunstideal seines Schülers Johann Joachim Winckelmann bekannt. Oeser förderte Goethes Kunstverständnis und künstlerisches Urteilsvermögen. In einem Dankesbrief aus Frankfurt schrieb er ihm, er habe bei ihm mehr gelernt als in all den Jahren an der Universität.[17] Auf Oesers Empfehlung besuchte er im März 1768 Dresden und die Gemäldegalerie. Goethe schloss mit Oesers Tochter Friederike Elisabeth (1748–1829) im Jahre 1765 eine Freundschaft, die sich auch nach seinen Leipziger Jahren noch eine Weile im Briefwechsel erhielt. Oeser blieb auch selbst mit Goethe bis zu dessen Aufbruch nach Straßburg durch Briefe in engerem Kontakt. Ihre Verbindung hat bis zum Tode von Oeser angehalten.

Beim Kupferstecher Johann Michael Stock erlernte Goethe in seiner Leipziger Studentenzeit die Techniken des Holzschnittsund der Radierung.

Fern dem Elternhaus genoss der 16- und 17-Jährige in Leipzig größere Freiheiten: Er besuchte Theateraufführungen, verbrachte die Abende mit Freunden, oder es wurden Ausflüge in die Umgebung unternommen.[18] In die Leipziger Zeit fiel Goethes „erstes ernsthaftes Liebesverhältnis“.[19] Die Romanze mit der Handwerker- und Gastwirtstochter Käthchen Schönkopf wurde nach zwei Jahren im gegenseitigen Einvernehmen wieder gelöst. Die Gefühlsaufwallungen dieser Jahre beeinflussten Goethes Schreibstil; hatte er zuvor schon Gedichte im regelgerechten Stil des Rokoko verfasst, so wurde ihr Tonfall nun freier und stürmischer. Eine Sammlung von 19 anakreontischen Gedichten, abgeschrieben und illustriert von seinem Freund Ernst Wolfgang Behrisch, ergab das Buch Annette. Eine weitere kleine Gedichtsammlung wurde 1769 unter dem Titel Neue Lieder als erstes von Goethes Werken gedruckt. In ihren jugendlichen Anfängen ist Goethes Dichtung, Nicholas Boyle zufolge, „kompromißlos erotisch“ und befasst sich „ganz direkt mit der machtvollsten Quelle des individuellen Wollens und Fühlens“.[20]

Im Juli 1768 erlitt Goethe einen schweren Blutsturz als Folge einer tuberkulösen Erkrankung.[21] Wieder halbwegs reisefähig, kehrte er im August – zur Enttäuschung seines Vaters ohne akademischen Abschluss[22] – ins Frankfurter Elternhaus zurück.

Frankfurt und Straßburg (1768–1771)

Goethes Wohnhaus in Straßburg, ehemals amFischmarkt, jetzt Rue du Vieux Marché aux Poissons

Die lebensbedrohliche Erkrankung erforderte eine lange Rekonvaleszenz und machte ihn empfänglich für die Vorstellungen desPietismus, die eine Freundin der Mutter, die Herrnhuterin Susanne von Klettenberg, ihm nahebrachte. In dieser Zeit fand er in seinem Erwachsenenleben vorübergehend den engsten Kontakt zum Christentum.[23] Er beschäftigte sich außerdem mit mystischenund alchemistischen Schriften, eine Lektüre, auf die er später im Faust zurückgreifen sollte.[24] Unabhängig davon verfasste er in dieser Zeit sein erstes Lustspiel Die Mitschuldigen.

Im April 1770 setzte Goethe sein Studium an der Universität Straßburg fort. Straßburg war mit 43.000 Einwohnern größer als Frankfurt[25] und im Westfälischen Frieden dem französischen Königreich zugesprochen worden. Der Unterricht an der Universität erfolgte großenteils noch in deutscher Sprache.

Diesmal widmete sich Goethe zielstrebiger den juristischen Studien, fand aber auch Zeit, eine ganze Reihe persönlicher Bekanntschaften anzuknüpfen. Die wichtigste davon war die mit dem Theologen, Kunst- und Literaturtheoretiker Johann Gottfried Herder. Goethe nennt es das „bedeutendste Ereignis“ der Straßburger Zeit.[26] Der Ältere öffnete ihm bei den fast täglichen Besuchen die Augen für die ursprüngliche Sprachgewalt von Autoren wie HomerShakespeare und Ossian sowie der Volkspoesie und gab so entscheidende Impulse für Goethes dichterische Entwicklung. Später sollte er auf Goethes Fürsprache hin in weimarische Dienste berufen werden. Zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis, der sich meist beim gemeinsamen Mittagstisch traf, gehörten auch der spätere Augenarzt und Schriftsteller Jung-Stilling und der Theologe und Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz. Obwohl von religiös orientierten Freunden umgeben, wandte er sich in Straßburg endgültig vom Pietismus ab.[27]

Durch einen Studienfreund wurde er in die Familie des Pfarrers Brion in Sessenheim (Goethe schreibt Sesenheim) eingeführt. Er lernte dabei die PfarrerstochterFriederike Brion kennen und lieben. Mit dem Abgang von der Straßburger Universität beendete der bindungsscheue junge Goethe die Beziehung, was für Friederike freilich erst durch einen Brief Goethes aus Frankfurt ersichtlich wurde. Wie Nicholas Boyle diese Episode deutet, musste sich Friederike schwerwiegend kompromittiert fühlen, da Goethe durch sein Verhalten ihr gegenüber als ihr Verlobter gelten konnte.[28] Erschüttert und schuldbewusst nahm Goethe die Nachricht über ihren gesundheitlichen Zusammenbruch auf, die er ihrem späteren Antwortbrief entnahm.[29] Die an Friederike gerichteten Gedichte, die später alsSesenheimer Lieder bekannt wurden (u. a. Willkommen und AbschiedMailiedHeidenröslein), sind nach Karl Otto Conrady mit dem Etikett „Erlebnislyrik“ falsch benannt. Die äußere Form der Lyrik biete nichts Neues und auch der sprachliche Ausdruck gehe allenfalls in Nuancen über die gewohnte Gedichtsprache hinaus. Gleichwohl trage das Ich in ihnen individuelle Züge und lehne sich nicht an „vorgegebene Muster schäferlicher Typen“ an, vielmehr erschienen „sprechendes Ich, Geliebte, Liebe und Natur in einer bisher nicht gekannten sprachlichen Intensität“.[30]

Im Sommer 1771 reichte Goethe seine (nicht erhaltene) juristische Dissertation ein, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zum Thema hatte. Die Straßburger Theologen empfanden sie als skandalös; einer von ihnen bezeichnete Goethe als „wahnsinnigen Religionsverächter“. Der Dekan der Fakultät empfahl Goethe, die Dissertation zurückzuziehen. Die Universität bot ihm jedoch die Möglichkeit, das Lizenziat zu erwerben. Für diesen niedrigeren Abschluss brauchte er nur einige Thesen aufzustellen und zu verteidigen.[31] Grundlage der Disputation am 6. August 1771, die er „cum applausu“ bestand, waren 56 Thesen in lateinischer Sprache unter dem Titel Positiones Juris. In der vorletzten These sprach er die Streitfrage an, ob eine Kindsmörderin der Todesstrafe zu unterwerfen sei. Das Thema griff er später in künstlerischer Form in der Gretchentragödie auf.

Advokat und Dichter in Frankfurt und Wetzlar (1771–1775)

Zurück in Frankfurt, eröffnete Goethe eine kleine Anwaltskanzlei, die vornehmlich seinem Vater als „bloße Durchgangsstation“ zu höheren Ämtern (etwa Schultheiß wie der Großvater) galt.[32] Die Advokatur betrieb er mit bald nachlassendem Interesse und geringem Arbeitseifer vier Jahre lang bis zur Abreise nach Weimar. Wichtiger als der Anwaltsberuf war Goethe die Dichtung. Ende 1771 brachte er – innerhalb von sechs Wochen – die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand zu Papier. Nach einer Überarbeitung wurde das Drama 1773 als Götz von Berlichingen im Selbstverlag veröffentlicht. Das mit allen überlieferten dramatischen Regeln brechende Werk fand begeisterte Aufnahme und gilt als ein Gründungsdokument des Sturm und Drang.[33]

Im Januar 1772 erlebte Goethe in Frankfurt die „düstere Zeremonie“ der öffentlichen Hinrichtung der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt durch das Schwert.[34] Sie bildete nach Rüdiger Safranski den persönlichen Hintergrund für die „Gretchen-Tragödie“ im Faust, an dem Goethe Anfang der 1770er Jahre zu arbeiten begonnen hatte.[35] Seine Schwester Cornelia heiratete 1773 den Advokaten Johann Georg Schlosser, Goethes zehn Jahre älteren Freund, der als Anwalt an dem Prozess gegen die Kindsmörderin mitgewirkt hatte.

Häufige Besuche stattete er in diesen Jahren dem Darmstädter Kreis der Empfindsamen um Johann Heinrich Merck ab, wobei er 25 Kilometer lange Wanderungen von Frankfurt nach Darmstadt auf sich nahm.[36] Auf Mercks Urteil legte Goethe großen Wert; in seiner Autobiographie bescheinigte er ihm, dass er „den größten Einfluß“ auf sein Leben gehabt habe. Seiner Einladung folgend, schrieb Goethe Rezensionen für die von Merck und Schlosser geleitete Zeitschrift Frankfurter Gelehrte Anzeigen.[37]

Zwischen den beiden Niederschriften des Götz hatte sich Goethe im Mai 1772, wiederum auf Drängen des Vaters, als Praktikant beim Reichskammergericht inWetzlar eingeschrieben. Sein dortiger Kollege Johann Christian Kestner beschrieb später den damaligen Goethe:

„Er besitzt, was man Genie nennt, und eine ganz außerordentliche Einbildungskraft. Er ist in seinen Affekten heftig. Er hat eine edle Denkungsart. […] Er liebt die Kinder und kann sich mit ihnen sehr beschäftigen. Er ist bizarre und hat in seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen andern ist er doch wohl angeschrieben. – Er tut, was ihm gefällt, ohne sich darum zu kümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt. […] Aus den schönen Wissenschaften und Künsten hat er sein Hauptwerk gemacht oder vielmehr aus allen Wissenschaften, nur nicht denen sogenannten Brotwissenschaften.[38]

Die Leiden des jungen Werthers,Erstdruck von 1774 (bei einer späteren Überarbeitung entfiel das Genitiv-s)

Wieder schenkte Goethe den juristischen Studien wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen befasste er sich mit den antiken Autoren. Auf einem ländlichen Tanzvergnügen lernte er Kestners Verlobte, Charlotte Buff, kennen, in die er sich verliebte. Goethe wurde regelmäßiger und willkommener Gast im Haus der Familie Buff. Nachdem ihm Charlotte erklärt hatte, dass er auf nichts als ihre Freundschaft hoffen dürfe und Goethe die Hoffnungslosigkeit seiner Lage erkannt hatte, flüchtete er aus Wetzlar.[39]

Anderthalb Jahre später verarbeitete er diese Erfahrung sowie weitere eigene und fremde Erlebnisse in dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers, den er Anfang 1774 innerhalb von nur vier Wochen niederschrieb. Das hochemotionale Werk, das sowohl dem „Sturm und Drang“ wie der gleichzeitigen literarischen Strömung der „Empfindsamkeit“ zugerechnet wird, machte seinen Autor binnen kurzem in ganz Europa berühmt. Goethe selbst erklärte den ungeheuren Erfolg des Buches und das von ihm ausgelöste „Wertherfieber“ später damit, dass es genau die Bedürfnisse der damaligen Zeit getroffen habe. Der Dichter selbst rettete sich mit der schöpferischen Arbeit am Werther aus einer eigenen krisenhaften Lebenssituation: „Ich fühlte mich, wie nach einer Generalbeichte, wieder froh und frei, und zu einem neuen Leben berechtigt.“[40] Gleichwohl hielt er danach ein herzliches Verhältnis zu Kestner und Lotte durch Briefwechsel aufrecht.[41]

Bei der Rückkehr aus Wetzlar empfing ihn der Vater mit Vorwürfen, weil der dortige Aufenthalt dem beruflichen Fortkommen des Sohnes nicht dienlich war.[42] Die folgenden Frankfurter Jahre bis zur Abreise nach Weimar zählten zu den produktivsten in Goethes Leben. Außer dem Werther entstanden die großen Hymnen(u. a. Wandrers SturmliedGanymedPrometheus und Mahomets Gesang), mehrere Kurzdramen (u. a. das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern und Götter, Helden und Wieland) sowie die Dramen Clavigo und Stella. Ein Schauspiel für Liebende. Auch griff Goethe in dieser Zeit zum ersten Mal den Fauststoff auf.

Zu Ostern 1775 verlobte Goethe sich mit der Frankfurter Bankierstochter Lili Schönemann. Gegenüber Eckermann äußerte er sich gegen Ende seines Lebens, sie sei die erste gewesen, die er „tief und wahrhaft liebte“. Zum ersten Mal bot ihm Lili, wie Nicholas Boyle schreibt, „die ganz reale Möglichkeit der Ehe“,[43] aber vor einer solchen Bindung schreckte der junge Dichter zurück. Eine Ehe war mit seinen Lebensplänen nicht vereinbar. Als weitere Hemmnisse kamen die unterschiedlichen Milieus und Konfessionen der Eltern hinzu. Um Abstand zu gewinnen, folgte er einer Einladung der Brüder Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg zu einer mehrmonatigen Reise durch die Schweiz. Im Oktober wurde die Verlobung durch Lilis Mutter mit der Erklärung aufgelöst, dass sich eine Heirat wegen der Verschiedenheit der Religionen nicht schicke.[44] Goethe, der unter der Trennung sehr litt, nahm in dieser Situation eine Einladung des 18-jährigen Herzogs Karl August zu einer Reise nach Weimar an.

Minister in Weimar (ab 1775)

Stadtplan von Weimar zur Zeit Goethes (1784); unten links ist Goethes Garten eingetragen

Im November 1775 erreichte Goethe Weimar. Die Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach zählte nur rund 6000 Einwohner (das Herzogtum rund 100.000), durch die Anstrengungen der Herzoginmutter Anna Amalia entwickelte es sich dennoch zu einem kulturellen Zentrum.[45] Zu der Zeit, als Goethe ohne Zweckbestimmung nach Weimar eingeladen wurde, war er bereits ein europaweit berühmter Autor.[46] Er gewann schnell das Vertrauen des acht Jahre jüngeren, im aufgeklärten Geist erzogenen Herzogs Karl August, der seinen Großonkel Friedrich II. wegen seiner Freundschaft mitVoltaire bewunderte. Wie dieser wollte er sich „einen großen Geist zur Seite stellen“.[47] Der Herzog tat alles, um Goethe in Weimar zu halten; er machte ihm großzügige Geschenke u. a. das Gartenhaus im Park an der Ilm. Als der Herzog ihm vorschlug, bei der Leitung des Staates mitzuwirken, nahm Goethe nach einigem Zögern an. Dabei bestimmte ihn das Bedürfnis nach praktisch-wirksamer Tätigkeit. Einer Freundin aus Frankfurt schrieb er: „Ich werd […] wohl dableiben […]. Wär’s auch nur auf ein paar Jahre, ist doch immer besser als das untätige Leben zu Hause wo ich mit der grössten Lust nichts thun kann. Hier hab ich doch ein paar Herzogthümer vor mir.“[48]

Im Staatsdienst

Johann Wolfgang von Goethe, Postkarte nach einem Gemälde von Georg Oswald May, 1779

Goethe wurde am 11. Juni 1776 Geheimer Legationsrat und Mitglied des Geheimen Consiliums, des dreiköpfigen Beratergremiums des Herzogs, mit einem Jahresgehalt von 1200 Talern.[49] Nominell gehörte Goethe dem Geheimen Consilium bis zu dessen Auflösung im Jahr 1815 an. Er schrieb am 14. Mai 1780 an Kestner über sein literarisches Schaffen während des Staatsdienstes, dass er seine Schriftstellerei zurückstelle, sich aber „doch erlaube […] nach dem Beispiel des großen Königs, der täglich einige Stunden auf die Flöte wandte, auch manchmal eine Übung in dem Talente, das mir eigen ist.“[50]

Von ehemaligen Freunden aus der Sturm und Drang-Periode – wie Lenz und Klinger –, die ihn 1776 in Weimar besuchten, sich längere Zeit dort aufhielten und von Goethe finanziell unterstützt wurden, wandte er sich schließlich schroff ab. Lenz lässt er, nach einer bis heute ungeklärten Beleidigung, gar aus dem Herzogtum ausweisen.[51]

Goethes Beamtentätigkeit erstreckte sich ab dem Jahre 1777 auf die Erneuerung des Ilmenauer Bergbaus und ab 1779 auf den Vorsitz zweier ständiger Kommissionen, der Wegebaukommission und der Kriegskommission, mit der Zuständigkeit für die Aushebung der Rekruten für die Weimarer Armee.[52] Sein Hauptanliegen war es, durch Einschränkung der öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Förderung der Wirtschaft den völlig verschuldeten Staatshaushalt zu sanieren. Dies gelang zumindest teilweise, z. B. führte die Halbierung der „Streitkräfte“ zu Einsparungen.[53] Schwierigkeiten und die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen im Staatsdienst bei gleichzeitiger Arbeitsüberlastung führten in die Resignation. Goethe notierte 1779 im Tagebuch: „Es weis kein Mensch was ich thue und mit wieviel Feinden ich kämpfe um das wenige hervorzubringen.“[54] Durch Reisen mit dem Herzog machte sich Goethe mit Land und Leuten vertraut. Seine Tätigkeiten führten ihn unter anderem nach Apolda, dessen Not er beschreibt, wie auch in andere Gebiete des Herzogtums.[55] Zumeist im Rahmen dienstlicher Pflichten unternahm Goethe in seinem ersten Weimarer Jahrzehnt mehrere Reisen über die Landesgrenzen hinaus, darunter im Frühjahr 1778 eine Reise nach Dessau und Berlin, von September 1779 bis Januar 1780 in die Schweiz sowie mehrmals in den Harz (1777, 1783 und 1784).

Danksagung von Goethe an die Weimarer Loge „Amalia“ zu seinem 50-jährigen Maurerjubiläum (1830)

Hofrat Johann Joachim Christoph Bode, der nach Weimar gekommen war, weckte Goethes Interesse an der WeimarerFreimaurerloge „Amalia“. Während seiner Schweizreise unternahm Goethe erste Bemühungen, aufgenommen zu werden, am 23. Juni 1780 trat er der Loge bei. Rasch absolvierte er die üblichen Grade und wurde 1781 zum Gesellen befördert und 1782, zugleich mit Carl August, zum Meister erhoben.[56] Goethe reiste am 7. Oktober 1781 nach Gotha, um Friedrich Melchior Grimm, den deutsch-französischen Autor, Diplomaten und Freund von Denis Diderot und anderen Enzyklopädisten, persönlich zu treffen. Dies war aber nicht das erste Treffen der beiden; bereits am 8. Oktober 1777 hatten sie auf der Wartburg bei Eisenach zusammengefunden.[57]

Goethes Tätigkeiten in Ilmenau und seine Bekämpfung der Korruption dort veranlassten den Herzog, ihn 1782 zum Finanzministerzu ernennen. Im selben Jahre noch wurde er zur Aufsichtsperson der Universität Jena ernannt.[58] Auf Antrag des Herzogs erhielt er am 3. Juni 1782 vom Kaiser das Adelsdiplom, das ihm sein Wirken am Hof und in Staatsgeschäften erleichtern sollte.[59] DieImmediatkommissionen zwischen 1776 und 1783 waren Goethes Hauptinstrument zur Durchsetzung von Reformvorhaben, da das „erstarrte“ Behördensystem dazu nicht in der Lage war. Die Reformbemühungen Goethes wurden in den achtziger Jahren durch dieAristokratie im Herzogtum behindert.[60] Der auf Goethes Initiative sanierte Kupfer- und Silberbergbau in Ilmenau erwies sich als wenig erfolgreich, weshalb er 1812 schließlich ganz eingestellt wurde.[61]

Mit knapp 33 Jahren hatte Goethe den Gipfel des Erfolgs erklommen. Nach dem Herzog war er der mächtigste Mann in Weimar.[62]Wegen seiner Arbeit für den Herzog wurde er als „Fürstendiener“ und „Despotendichter“ kritisiert.[63]

Goethes Wirken im Consilium wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Einigen Autoren gilt er als aufklärerischer Reformpolitiker, der sich unter anderem um die Befreiung der Bauern von drückenden Fron- und Abgabenlasten bemühte;[64] andere stellen heraus, dass er in amtlicher Funktion sowohl die Zwangsrekrutierung von Landeskindern für die preußische Armee als auch Maßnahmen zur Einschränkung der Redefreiheit befürwortete. In einem anderen Fall votierte er für die Hinrichtung der ledigen Mutter Johanna Catharina Höhn, die ihr Neugeborenes aus Verzweiflung getötet hatte – im Gegensatz zu der verständnis- und mitleidsvollen Haltung, die er später in der Gretchentragödie zum Ausdruck brachte.[65]

Dichtung und Naturstudium

In seinem ersten Weimarer Jahrzehnt veröffentlichte Goethe außer einigen in Zeitschriften verstreuten Gedichten nichts. Die tägliche Arbeit ließ ihm zu ernsthafter dichterischer Tätigkeit wenig Zeit, zumal er auch für die Gestaltung von Hoffesten und die Belieferung des höfischen Liebhabertheaters mit Singspielen und Theaterstücken zuständig war. Zu diesen Gelegenheitsproduktionen, die er oft als eine lästige Pflicht ansah, gehört eine Neufassung des Jahrmarktsfests zu Plundersweilern. Von anspruchsvollen Arbeiten dieser Zeit wurde nur eine erste Prosafassung der Iphigenie auf Tauris fertig, begonnen außerdem EgmontTassound Wilhelm Meister. Ferner entstanden einige der bekanntesten Gedichte Goethes; neben den Liebesgedichten für Charlotte von Stein (z. B. Warum gabst du uns die tiefen Blicke) waren dies unter anderem der ErlkönigWandrers NachtliedGrenzen der Menschheit und Das Göttliche.

Um 1780 begann Goethe, sich systematisch mit naturwissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Er führte dies später auf seine amtliche Beschäftigung mit Fragen des Berg- und Ackerbaus, der Holzwirtschaft usw. zurück. Sein Hauptinteresse galt zunächst der Geologie und der Mineralogie, der Botanik und derOsteologie. Auf diesem Gebiet gelang ihm 1784 die vermeintliche Entdeckung (in Wirklichkeit Wiederentdeckung)[66] des Zwischenkieferknochens beim Menschen. Im gleichen Jahr schrieb er seinen Aufsatz Über den Granit und plante ein Buch mit dem Titel Roman der Erde.

Beziehung zu Charlotte von Stein

Charlotte von Stein

Die wichtigste und prägendste Beziehung Goethes während dieses Weimarer Jahrzehnts war die zu der Hofdame Charlotte von Stein (1742–1827). Die sieben Jahre Ältere war mit dem Landedelmann Baron Josias von Stein verheiratet, dem Oberstallmeister am Hofe. Sie hatte sieben Kinder mit ihm, von denen noch drei lebten, als Goethe sie kennenlernte. Die 1770 Briefe, Billette, „Zettelgen“ und die zahlreichen Gedichte, die Goethe an sie richtete, sind die Dokumente einer außergewöhnlich innigen Beziehung (Frau von Steins Briefe sind nicht erhalten). Es wird darin deutlich, dass die Geliebte den Dichter als „Erzieherin“ förderte. Sie brachte ihm höfische Umgangsformen bei, besänftigte seine innere Unruhe, stärkte seine Selbstdisziplin. Die Frage, ob es sich auch um ein sexuelles Verhältnis oder um eine reine „Seelenfreundschaft“ handelte, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten.[67] Die Mehrzahl der Autoren geht davon aus, dass Charlotte von Stein sich dem körperlichen Verlangen des Geliebten verweigerte. In einem Brief aus Rom schrieb er, dass der „Gedanke, dich nicht zu besitzen mich […] aufreibt und aufzehrt“.[68]

Häufig wird die These des Psychoanalytikers Kurt Eissler[69] vertreten, wonach Goethe seinen ersten Geschlechtsverkehr als 39-jähriger in Rom hatte. Auch sein Biograph Nicholas Boyle sieht in der römischen Episode mit „Faustina“ den ersten sexuellen Kontakt, der dokumentarisch belegt ist.[70]

Goethes heimliche Abreise nach Italien 1786 erschütterte das Verhältnis, und nach der Rückkehr kam es zum endgültigen Bruch wegen der von Goethe aufgenommenen festen Liebesbeziehung mit Christiane Vulpius, seiner späteren Ehefrau, die ihm die tief verletzte Frau von Stein nicht verzieh. Sie, deren ganzes Leben und Selbstverständnis auf der Verleugnung der Sinnlichkeit gründete, sah in der Verbindung einen Treuebruch Goethes. Sie forderte ihre Briefe an ihn zurück.[71] Christiane nannte sie nur „das Kreatürchen“ und meinte, Goethe habe zwei Naturen, eine sinnliche und eine geistige. Erst im Alter fanden beide erneut zu einer freundschaftlichen Beziehung, ohne dass sich der herzliche Umgang von einst wiederherstellte.[72] Goethes kleiner Sohn August, der manche Botengänge zwischen dem Goetheschen und dem von Steinschen Haus erledigte und den Charlotte ins Herz geschlossen hatte, gab den Anstoß für eine stockende Wiederaufnahme ihres Briefwechsels ab 1794, der allerdings fortan per „Sie“ geführt wurde.[73]

Reise nach Italien (1786–1788)

Die Solfatara von Pozzuoli, lavierte Tuschzeichnung von Johann Wolfgang von Goethe, 1787
Johann Wolfgang von Goethe in seinem italienischen Freundeskreis,Federzeichnung von Friedrich Bury, um 1787

Mitte der 1780er Jahre, auf dem Gipfel seiner Amtskarriere, geriet Goethe in eine Krise. Seine amtlichen Tätigkeiten blieben ohne Erfolgserlebnisse, die Belastungen seiner Ämter und die Zwänge des Hoflebens wurden ihm lästig, die Beziehung zu Charlotte von Stein gestaltete sich zunehmend unbefriedigend. Als ihm der Verleger Göschen 1786 das Angebot einer Gesamtausgabe machte, wurde ihm schockartig klar, dass von ihm in den letzten zehn Jahren nichts Neues erschienen war. Im Blick auf seine dichterischen Fragmente (Faust, Egmont, Wilhelm Meister, Tasso) verstärkten sich die Selbstzweifel an seiner Doppelexistenz als Künstler und Amtsmensch. Im Schauspiel Torquato Tasso fand Goethe den adäquaten Stoff, um seine widersprüchliche Existenz am Hofe zu gestalten. Er legte sie in zwei Figuren auseinander, Tasso und Antonio, zwischen denen es keine Versöhnung gibt. Während er dem poetischen Ausgleich misstraute, versuchte er noch in der Realität beide Aspekte im Gleichgewicht zu halten.[74]

Aber nach der ernüchternden Erfahrung seiner dichterischen Stagnation im ersten Weimarer Jahrzehnt entzog er sich dem Hof durch eine für seine Umgebung unerwartete Bildungsreise nach Italien.[75] Am 3. September 1786 brach er ohne Abschied von einer Kur in Karlsbad auf. Nur sein Sekretär und vertrauter Diener Philipp Seidel war eingeweiht.[76] Den Herzog hatte er nach dem letzten persönlichen Zusammensein in Karlsbad schriftlich um unbefristeten Urlaub gebeten. Am Vortag seiner Abreise kündigte er ihm seine bevorstehende Abwesenheit an, ohne sein Reiseziel zu verraten.[77] Die geheime Abreise mit unbekanntem Ziel war wohl Teil einer Strategie, die es Goethe ermöglichen sollte, seine Ämter niederzulegen, das Gehalt jedoch weiter zu beziehen.[78] Der europaweit berühmte Autor des Werther reiste inkognito unter dem Namen Johann Philipp Möller,[79] um sich ungezwungen in der Öffentlichkeit bewegen zu können.

Nach Zwischenaufenthalten in VeronaVicenza und Venedig erreichte Goethe im November Rom. Dort hielt er sich zunächst bis Februar 1787 auf (erster Romaufenthalt). Nach einer viermonatigen Reise nach Neapel und Sizilien kehrte er im Juni 1787 nach Rom zurück, wo er bis Ende April 1788 verweilte (zweiter Romaufenthalt). Auf der Rückreise machte er Zwischenstationen u. a. in SienaFlorenzParma und Mailand. Zwei Monate später, am 18. Juni 1788, war er wieder in Weimar.

In Rom wohnte Goethe bei dem deutschen Maler Wilhelm Tischbein,[80] der das wohl bekannteste Porträt des Dichters (Goethe in der Campagna) malte. In regem Austausch stand er auch mit anderen Mitgliedern der deutschen Künstlerkolonie in Rom, darunter Angelika Kauffmann, die ihn ebenfalls porträtierte, mit Philipp Hackert, Friedrich Bury, und mit dem Schweizer Maler Johann Heinrich Meyer, der ihm später nach Weimar folgen und dort unter anderem sein künstlerischer Berater werden sollte. In freundschaftlicher Verbindung stand er auch mit dem Schriftsteller Karl Philipp Moritz; im Gespräch mit ihm bildeten sich die kunsttheoretischen Anschauungen aus, die für Goethes „klassische“ Auffassung von der Kunst grundlegend werden sollten und von Moritz in seiner Schrift Über die bildende Nachahmung des Schönen niedergelegt wurden.

Goethe lernte in Italien die Bau- und Kunstwerke der Antike und der Renaissance kennen und bewundern; seine besondere Verehrung galt Raffael und dem Architekten Andrea Palladio. An dessen Bauten hatte er in Vicenza mit Begeisterung wahrgenommen, dass sie die Formen der Antike zu neuem Leben erweckten.[81] Unter Anleitung seiner Künstlerfreunde übte er sich mit großem Ehrgeiz im Zeichnen; etwa 850 Zeichnungen Goethes sind aus der italienischen Zeit erhalten. Er erkannte aber auch, dass er nicht zum bildenden Künstler, sondern zum Dichter geboren sei. Intensiv beschäftigte er sich mit der Fertigstellung literarischer Arbeiten: Er brachte die bereits in Prosa vorliegende Iphigenie in Versform, vollendete den zwölf Jahre zuvor begonnenenEgmont und schrieb weiter am Tasso. Daneben beschäftigte er sich mit botanischen Studien. Vor allem aber „lebte“ er: „Im Schutze des Inkognitos (den deutschen Freunden war seine wahre Identität jedoch bekannt) konnte er sich in einfachen Gesellschaftsschichten bewegen, seiner Freude an Spielen und Späßen freien Lauf lassen und erotische Erfahrungen machen.“[82]

Die Reise wurde für Goethe zu einem einschneidenden Erlebnis; er selbst sprach in Briefen nach Hause wiederholt von einer „Wiedergeburt“, einer „neuen Jugend“, die er in Italien erfahren habe.[83] Er habe sich selbst als Künstler wiedergefunden, schrieb er dem Herzog. Über seine zukünftige Tätigkeit in Weimar ließ er ihn wissen, er wolle von den bisherigen Pflichten befreit werden und das tun, „was niemand als ich tun kann und das übrige anderen auftragen“. Der Herzog gewährte Goethe die erbetene Verlängerung seines bezahlten Urlaubs, so dass er bis Ostern 1788 in Rom bleiben konnte.[84] Ein Ergebnis seiner Reise war, dass er nach seiner Rückkehr nach Weimar die dichterische von der politischen Existenz trennte.[85]

Basierend auf seinen Tagebüchern verfasste er zwischen 1813 und 1817 die Italienische Reise.

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