Es gibt die Geschichte der Welt in 100 Objekten, die Geschichte des Kinos in 100 Filmen und die Geschichte des Essens in 100 Rezepten. Braucht man da noch eine Geschichte des Universums in 100 Sternen? Aber ja, denn selten passte ein markterprobtes Formprinzip so wie hier. Schon die Zahl im Titel zieht gleich eine alte Kinderliedfrage nach sich: Hundert Sterne, ja – aber hundert von wie vielen? Quadrillionen Gaskugeln leuchten in unserem Universum, mit bloßem Auge erkennen können wir in sternenklaren Nächten höchstens 9095, schreibt der Wissenschaftsautor Florian Freistetter in seinem Buch – und das auch nur bei völliger Dunkelheit, "wer sehen möchte, wie eine sternenklare Nacht wirklich aussieht, muss in weit entfernte Wüsten reisen oder sich auf den offenen Ozean begeben".



DIE ZEIT 48/2019
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 48/2019. Hier können Sie die...


Freistetter erzählt in hundert Kurzporträts von Sternen wie Gliese 710, der auf Kollisionskurs mit unserem Sonnensystem ist und uns noch eine Million Jahre Zeit lässt zur Vorbereitung auf seine Ankunft; von Sirius, mit dessen Hilfe die alten Ägypter die Nilflut vorhersagten; vom geheimnisvollen Stern HIP 13044, der einst aus einer fremden Galaxie den Weg in unsere fand. Und er würdigt 61 Cygni, den ersten Stern, von dem Astronomen im 19. Jahrhundert endlich sagen konnten, wie weit entfernt von uns er leuchtet (viel weiter, als man dachte – mehr als 100 Billionen Kilometer). Wer in dem Buch blättert, erfährt nicht nur allerlei über die Befunde und Methoden der Astronomie, man stößt auch auf erkenntnistheoretische Fragen: Wenn wir über den Begriff des Sterns nachdenken, lernen wir die Prinzipien zu verstehen, nach denen wir die Natur sortieren. Selbst die Himmelskörper sind nicht immer klar voneinander geschieden. Die Astronomen kennen Zwischen- und Sonderformen, zum Beispiel den sogenannten Braunen Zwerg Teide 1: zu klein für einen Stern, zu groß für einen Planeten, ein lauwarm vorgeheizter Ofen, der nur eine schwächliche Variante der Kernfusion betreibt. Auch solche Grenzfälle finden sich in diesem Buch, sogar Planeten und Kometen kommen vor. Denn Sterne sind nicht bloß naturwissenschaftliche Kategorie, sie sind auch phänomenologische Erscheinung: Was nachts da oben leuchtet und nicht der Mond ist, das nennen wir einen Stern. Auch wenn es manchmal keiner ist – oder es gleich zwei sind, wie im Fall von Alpha Capricorni: "Das helle Licht im Sternbild Steinbock besteht aus zwei unterschiedlichen Sternen, die von der Erde aus gesehen rein zufällig gerade so dicht nebeneinanderstehen, dass sie mit bloßem Auge wie ein einziger Stern aussehen." Die Astronomie nimmt solche Doppeldeutigkeit auf, wenn sie den Nachthimmel in 88 offizielle Sternbilder gliedert (von Achterdeck des Schiffs bis Zwillinge; der Große Wagen hat es nicht in die Liste geschafft, dafür aber eine Luftpumpe) – so als spräche die Chemie von blauen, roten und grünen Stoffen.

Elegant legt Freistetter diese unterschiedlichen Raster der Sternbeobachtung übereinander. So lernt man nicht nur Wissenswertes über Sterne, man versteht sogar Zusammenhänge. Das schönste aber: Manchmal findet man am Nachthimmel einen leuchtenden Anlass, um mit anderen zu teilen, was man aus diesem Buch erfahren hat.

Florian Freistetter: Eine Geschichte des Universums in 100 Sternen; Hanser, München 2019; 304 S., 22,– €, als E-Book 16,99 €