Diesen Abgang hätte er auch in einem seiner wüsten, wilden, aber immer theatralischen Stücke inszenieren können. Vor zwei Wochen eröffnete der gebürtige Kärntner Johann Kresnik das Wiener ImPulsTanz-Festival, das größte Tanzfest Österreichs, mit der Wiedereinstudierung seines 30 Jahre alten, seit der Premiere 1988 umstrittenen choreografischen Theaters „Macbeth“. Und wurde für seine freche, furiose Gleichschaltung von mittelalterlichem Usurpator und Uwe Barschel im provokativen Blutbadewannen-Bühnenbild Gottfried Helnweins erneut gefeiert.
Anschließend erhielt der immer noch angriffslustige 79-Jährige aus der Hand von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die ihn auch in ihrer Zeit als Chefin des Grazer Avantgarde-Festivals Steirischer Herbst eingeladen hatte, das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien.
„Er ist, was es heute allzu selten gibt: ein Künstler mit Wut im Bauch, ein Berserker mit Aggressionslust und blutendem Herzen zugleich“, hatte die Neu-Politikerin ihn auf offener Szene ganz ehrlich genannt.
Und da fiel es wieder, das Wort, das eigentlich für ihn erfunden wurde: „Tanzberserker“. Denn Johann Kresnik hatte zwar eine Ballettausbildung und war mal Solotänzer in Köln gewesen, aber zwischen all seinen transluziden Kollegen war er immer der Irdische, der Handfeste, der Prolet und Underdog.
Und er war das gern. Denn er hatte Wut im Bauch und Ideen. Alles musste raus, und er warf, schmiss und kotzte auch manchmal seine Einfälle auf die Bretter.
Mit seiner sehr speziellen, oft groben, manchmal überraschend zarten, immer bildkräftigen, bisweilen rustikalen Bewegungskunst, er nannte es „choreografisches Theater“, nicht „Tanztheater“ à la Pina Bausch, galt er bis zuletzt als Einzelerscheinung in der Theaterwelt. Kein Wunder.
Geboren wurde Johann Kresnik am 12. Dezember 1939 im kärntnerischen St. Margarethen als Sohn eines Bergbauern. Als Dreijähriger musste er mit ansehen, wie sein Vater, ein Wehrmachtssoldat, von Partisanen erschossen wurde. Später heiratete seine Mutter den Sektionsleiter der steirischen KPÖ.
Gelernter Werkzeugschlosser
Kresnik wollte in Wien ein Malereistudium beginnen, musste aber auf Drängen der Mutter eine Lehre als Werkzeugschlosser absolvieren. Daneben arbeitete er an den Grazer Bühnen als Statist, wo er auch eine Tanzausbildung absolvierte.
1960 flüchtete der junge Tänzer vor dem Bundesheer-Einberufungsbefehl nach Bremen. Zwei Jahre später wechselte er nach Köln und arbeitete dort als Solotänzer mit Größen wie Balanchine, Cranko und Béjart – und wusste schnell, was er nicht wollte.
1967 erarbeitete Kresnik aus Gedichten von Psychiatrie-Patienten sein erstes Stück „O sela pei“, 1968 thematisierte er in „Paradies?“ das Attentat auf Rudi Dutschke; im selben Jahr wurde er von Talenttrüffelsucher Kurt Hübner als Ballettdirektor an das Bremer Theater engagiert.
Das dort von ihm entwickelte Choreografische Theater versuchte, Sozialkritik in eine oft schockierende Bildersprache zu gießen, er ging gegen Imperialismus, Kriegshetze, Altnazis und Tagespolitik vor. „Das Theater ist meine Waffe“, manifestierte Kresnik aggressiv seinen künstlerischen Impuls.
Mythen realer Figuren
Bis 1978 entstanden Stücke wie „Kriegsanleitung für Jedermann“, „Schwanensee AG“ in Springerstiefeln, „Die Nibelungen“, „Jesus GmbH“ oder „Masada“, oft rohe, aber engagierte sozialkritische, ja marxistische Pamphlete gegen alles, was er in Politik und Gesellschaft verurteilte.
Zwischen 1979 und 1989 leitete Johann Kresnik dann das Tanztheater am Theater der Stadt Heidelberg. Hier und auch später nach seiner Rückkehr nach Bremen benutzte er immer wieder Biografien realer Figuren, um ihren Mythos zu demontieren. Dazu gehören Arbeiten wie „Sylvia Plath“, „Pasolini“, „Ulrike Meinhof“, „Frida Kahlo“, „Nietzsche“, „Francis Bacon“.
Daneben arbeitete Kresnik auch im Schauspiel und in der Oper. Eine späte Glanzzeit, aber auch den Niedergang erlebte er von 1994 bis 2002, als er mit seinem Ensemble auf dem ostigen Lastschlepper Berliner Volksbühne andockte. Es war für den Senior des deutschen Tanztheaters ein prima Deck, das er voll Energie und mit gewohnt harschen Mitteln besetzte.
Doch bald verließen ihn Atem und Kraft, seine Bilder erschöpften sich in Stereotypen und Nackten. „Ich betrachte mich als gescheitert, wenn sich niemand über mein Stück aufregt“, sagte er ganz ernsthaft. Doch immer mehr entrückte er zum Helden aus grauer Tanztheaterkampfvorzeit.
Und doch: Johann Kresnik war aufrichtig und immer wütend. Wo die anderen kuschen und sich anpassen oder in esoterische Kunstkunst flüchten, da blieb er real, klobig und zornig.
Der einstige Pionier des Tanztheaters als angry old man: Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit. Und irgendwann waren die anderen alten Kommunarden müde. Am 27. Juli ist Johann Kresnik im Alter von 79 in Klagenfurt an Herzversagen gestorben.
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