Im Herbst 1808 erstrahlte Erfurt im Glanz der Fürstenkonferenz, genauer, im Gedränge von „zwey Kaisern, vier Königen, acht regierenden und nicht regierenden Herzögen und einer unzählbaren Menge deutscher, französischer und russischer Matadors und Magnaten“, wie der in Weimar wohnende Wieland an eine Freundin schrieb.
Am 6. Oktober machten „alle diese Majestäten, Hoheiten, Durchlauchten und Excellenzen“ samt ihrem atemberaubenden Servicetross einen Ausflug nach Weimar, wo „alles unter und über sich ging“. Das Programm für die Herrschaften umfasste eine Treibjagd, ein großes Diner, einen Ball und zwischendurch noch eine Aufführung von Voltaires „Julius Caesar“, gespielt von der Pariser Comédie Française, die Napoleon begleitete – alles an einem einzigen Tag!
Christoph Martin Wieland, ehemaliger Erzieher der Weimarer Prinzen, berühmter Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber des „Teutschen Merkur“, beschloss, diesem Getöse fernzubleiben. Nur ins Schauspielhaus ging er, um den berühmten Acteur Talma als Brutus zu erleben. Da er in einer Loge nahe Napoleon saß, betrachtete er auch diesen so ausgiebig durch sein Lorgnon, dass der Empereur sich später erkundigte, wer dieser indiskrete Späher sei. Ah, Monsieur Wieland! Goethe war schon in Erfurt angetreten, Schiller war tot, Herder ebenfalls, aber Wieland, der Autor von „Agathon“ und „Oberon“, immerhin! Er möge zum Ball erscheinen, unbedingt!
Also bestieg Wieland, der 75-jährige zarte Gelehrte, in seiner gewöhnlichen Kleidung (schwarzes Samtkäppchen, Tuchstiefel) die hergesandte Kutsche und fuhr zum Tanzsaal, abends gegen halb elf. Dort würdigte ihn Napoleon eines Gesprächs von sage und schreibe anderthalb Stunden, „zu großem Erstaunen aller Anwesenden“. Unter diesen befand sich auch der berühmte Minister Talleyrand, der später alles Erlauschte in sein Tagebuch notierte, genauer gesagt: alles, was Napoleon gesprochen hatte, so als hätte der Deutsche bloß den Mund gehalten. Ganz falsch!
Wieland, der ein geselliges Leben am Weimarer Hof verbracht hatte und fließend Französisch sprach, erzählte die Geschichte dieses Abends seinem Freunde Friedrich Rochlitz so: Entzückt, als das Gespräch sich der Antike zuwandte und Napoleon allerlei Bedenkenswertes über Cäsar und Tacitus äußerte und die Lektüre ihrer Schriften als nützlich pries, habe er des Kaisers Rede durch den Hinweis ergänzt, dass auch die Evangelisten und Apostel sich als Historiker betätigt hätten, nicht nur, was ihre eigene Zeit betraf, sondern auch die Zukunft. Sie hatten den Untergang Jerusalems prophezeit, die Ausbreitung des Christentums vorhergesagt und anderes mehr.
Napoleon ist befremdet
„Höchstbefremdet“ heftete der Eroberer einen stechenden Blick auf Wieland, ließ ihn weiterreden, fasste ihn aber dann „beim Rockknopfe“ und zischte: „Genug, genug! Diese Apostel waren gescheite Juden und kannten ihre Leute“, um nach kurzer Pause fortzufahren: „Kurz und gut, ich glaube gar nicht, dass jemals ein Herr Christus gelebt hat.“
Was, bitte, soll man da als guter Christ dem mächtigsten Mann Europas erwidern? Wieland, heiter und selbstsicher wie stets, hat’s gewusst: „Sire, so glaube ich, und wenigstens mit gleichem Rechte, in einem Jahr nicht mehr, dass jemals ein Napoleon gelebt hat.“ Blitz und Donner! Was antwortete der Kaiser? Er rief: „Bon, très bon!“, und lachte „ziemlich laut“.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.
Pentru a putea adăuga comentarii trebuie să fii membru al altmarius !
Alătură-te reţelei altmarius