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Kampf zwischen Verdrängungstalent und Beobachtungsgabe

Veröffentlicht am 19.03.2020 | Lesedauer: 6 Minuten
Erzeugung von Glück und Furcht: der Schriftsteller Thomas GlavinicErzeugung von Glück und Furcht: der Schriftsteller Thomas Glavinic

Erzeugung von Glück und Furcht: der Schriftsteller Thomas Glavinic
Quelle: Infografik WELT


Die Welt steht still, wir sitzen verängstigt in unseren Wohnungen. Der österreichische Schriftsteller und Hypochonder Thomas Glavinic verarbeitet die Corona-Krise in einem täglichen Fortsetzungsroman. Exklusiv auf WELT.

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Ich weiß nicht, wann ich mir diese Frage zum ersten Mal gestellt habe, vielleicht gestern, vielleicht vor zehn Jahren.

Welche Absichten verfolgte der Mensch, der zum ersten Mal den anderen von Gott erzählte? Brachte er, um es zu trösten, gegenüber einem weinenden Waisenkind einen himmlischen Hotelier ins Spiel, in dessen Luxusherberge Verstorbene auf die Ankunft ihrer Lieben warteten? Oder prahlte er mit seinen guten Beziehungen zu einem unsichtbaren, allmächtigen Wesen, das die Hütten aller anderen Dorfbewohner jederzeit in Flammen aufgehen lassen würde, wenn sie ihn nicht als seinen Stellvertreter anerkannten und ihm von nun an jeden Morgen eine gebratene Mammuthaxe servierten? Die Erzeugung von Glück oder Furcht sind die zwei einzigen Anwendungsgebiete Gottes, ein drittes gibt es nicht.

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Der Unterschied zwischen den beiden ist bedeutend, aber nicht groß. Jeder, der die geniale Idee des ersten Propheten aufgriff, verfolgte dabei ein bestimmtes Ziel, und wenn er sich nicht allzu ungeschickt anstellte, hatte er damit auch Erfolg, denn Menschen können mit Unsicherheit schlecht umgehen, sie brauchen eine Hausordnung, regelmäßige Belohnungen für Wohlverhalten sowie ein Protokoll, das die Konsequenzen individuellen Fehlverhaltens regelt.

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Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich da besonders von anderen unterscheide. Klare Regeln sparen Zeit und Ärger. Wenn plötzlich eine neue Zeit anbricht, in der die alten Regeln nicht mehr gelten und neue erst formuliert werden müssen, ist das unangenehm, besonders wenn man es bemerkt, und noch unangenehmer, wenn man ich ist.

Die Quarantäne bemerken

Im Kampf zwischen meinem Verdrängungstalent und meiner ausgeprägten Beobachtungsgabe obsiegte leider letztere, und deshalb ist es mir nicht entgangen, dass ich wegen einer Pandemie, die entgegen den Beteuerungen offizieller Stellen unter gewissen Umständen durchaus das Zeug hätte, einen nicht unbeträchtlichen Teil der Weltbevölkerung zu töten, so wie alle anderen Österreicher zuhause unter vorbeugender Quarantäne stehe, was jemand, der so wie ich das Haus nach Möglichkeit sowieso nicht verlässt, tatsächlich erst einmal bemerken muss.

Wer weiß, wie lange ich von den Geschehnissen nichts gewusst hätte, wären da nicht die Emails von italienischen Verwandten gewesen, denn ich lebe seit mehr als drei Jahren außerhalb dessen, was eine Mehrheit meiner Mitmenschen als Wirklichkeit bezeichnet. Und wer weiß, wie lange meine Verwandten ohne meine Emails nicht gewusst hätten, dass der gigantische Schwindel unseres Finanzsystems, der die ganze Welt verseucht hat, zufällig auch gerade ausbricht bzw. auffliegt. Über Bitcoin, Ethereum, den Goldpreis, den Dow Jones und den S&P 500 weiß ich nämlich besser Bescheid als über das Atomkonglomerat, das sich erdreistet, sich vor meinem Haus als Realität auszugeben.

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Gewissen Widrigkeiten wie einem Kurzaufenthalt im Koma, der Erkenntnis, der falschen Person Kontrolle über mein Konto eingeräumt zu haben, dem daraus resultierenden Scheitern meiner wirtschaftlichen Existenz und einer klinischen Depression verdanke ich es, dass ich von Dezember 2016 bis vorgestern weder eine Zeitung aufgeschlagen noch Fernsehnachrichten gesehen habe.

Elf Monate davon war ich geradezu paralysiert. Ich konnte nur dasitzen, auf den Bildschirm meines Computers starren und den Kryptowährungsmarkt analysieren. Die Liste der Dinge, zu denen ich nicht imstande war, ist länger. Ich konnte nicht länger als eine Stunde pro Nacht schlafen, ich konnte nicht aufstehen, schlief diese eine Stunde also auf meinem Schreibtischstuhl, ich konnte mich nicht waschen, ich konnte nicht kochen, ich konnte kaum etwas essen, ich konnte weder Emails noch Anrufe beantworten, und nicht immer, wenn ich ins Bad musste, bewältigte ich den Weg.

Dass die Fußball-WM lief, erfuhr ich durch Zufall am Tag des ersten Halbfinales. Keine Ahnung, wer den Titel gewonnen hat. Einmal stolperte ich über ein Video, das die Regierungsansprache einer gewissen Frau Bierlein zeigte, die soeben zur österreichischen Bundeskanzlerin ernannt worden war. Ich hielt es monatelang für ein Scherz-Video der genialen Künstlergruppe maschek.

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Nachdem ich nachgeforscht hatte, wer derzeit eigentlich österreichischer Regierungschef ist, kaufte ich mir eine Tonne Desinfektionssprays und begann zu recherchieren. Covan-19 oder CoV heißt das Virus, das Ende 2019 in China von irgendeinem Mistvieh auf einen Menschen übersprang und sich rasch als potentiell tödlich erwies, besonders für alte Leute.

Noch vor kurzem nannte man es familiär Corona oder despektierlich Biergrippe, aber seit es auf Welttournee ist, behandelt man es wie einen Erwachsenen. Vor allem die Italiener. Die mussten feststellen, dass dieses Virus nicht nur alten Leuten gefährlich werden kann. Es ist zehnmal ansteckender als eine herkömmliche Erkältung, die Zahl der Infektionen wächst nicht linear an, sondern exponentiell, und ein großer Prozentsatz der Erkrankten muss hospitalisiert werden.

Im unvorbereiteten Italien führte dies dazu, dass es in manchen Orten bald nach dem ersten Ausbruch keine unbelegten Krankenhausbetten mehr gab. Seit mehr und mehr behandelnde Ärzte und Pfleger erkranken, steigen die Opferzahlen, und auf der ganzen Welt zerplatzen die Träume zuvor noch heimlich frohlockender Finanzminister und Vorstandsmitglieder von Rentenversicherungen, weil das italienische Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch steht und nun auch unversorgte jüngere Menschen sterben.

Die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen

Menschen sind nicht blöd. Jedenfalls nicht alle. Die Wahrheit ist den Menschen nicht nur zumutbar, sie haben vielmehr das Recht, sie zu erfahren und dann ganz nach individueller Lust und Laune in Panik zu verfallen oder vernünftige Entscheidungen zu treffen. Dass in Italien auch junge Menschen an Corona sterben, weil die medizinische Versorgung aller Patienten nicht mehr überall möglich ist (weniger beschönigend formuliert: weil niemand da ist, um sie zu intubieren), sollte in anderen Ländern ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit drastischer öffentlicher Schutzmaßnahmen schaffen.

Wie es aussieht, geht es für den Einzelnen nicht darum, gesund zu bleiben, sondern Zeit zu schinden, damit nicht gedrängelt, sondern geordnet und schichtweise krankgeworden wird und für jeden ein Krankenhausbett frei ist, wenn er an die Reihe kommt. Die Mortalitätsrate von Covid-19 liegt offiziell bei 3%. Wenn man die Website https://covid19info.live/italy/ aufruft, liest man heute: Confirmed: 31506. Infected: 26062 / 82.7%. Deaths: 2503 / 7.9%. Recovered: 2941 / 9.3%.

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Das kann man nun so oder so lesen. Man kann Gott gnädig nennen, weil er nur 7.9% der Erkrankten zu sich gerufen hat. Man kann ihn aber auch fürchten, weil laut dieser Statistik die Zahl der geheilten Patienten jene der verstorbenen Patienten nur um ein paar Prozentpunkte übersteigt. Würde sich diese Tendenz unter den 26062 derzeit noch Infizierten fortsetzen und das Verhältnis zwischen Toten und Überlebenden auch am Ende 8:9 betragen, naja, die gesellschaftlichen Auswirkungen male ich mir lieber nicht aus. Da klebe ich lieber wieder am Schreibtisch fest.

Das kann auch nur mir passieren: Ich lasse die Welt kurz aus den Augen, und wenn ich wieder hinsehe, herrschen Finanzchaos, Pandemie und Ausgangssperre.

Thomas Glavinic ist Schriftsteller und Hypochonder. Er lebt in Wien. Zuletzt erschien von ihm bei Piper die „Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung“.

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