Ralph Gleis Ralph Gleis übernimmt 2025 die Albertina.
Monika Skolimowska / dpa / pictu

Fahrstuhlmusik kündigte seinen ersten Auftritt an. Bevor der neue Generaldirektor der Albertina die Prunkräume des Museums betrat, wurde die wartende Journalistenschar statt mit einem saftigen Tremolo mit beinahe einschläfernden Klängen beschallt. Große Aufregung war in der Tat nicht angebracht: Nachdem sich die zweite, sehr ernsthafte Kandidatin für die Nachfolge von Klaus Albrecht Schröder, Nina Zimmer, zurückgezogen hatte (sie habe im Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee noch viel vor, teilte sie dem STANDARD bereits Ende Juni mit), blieb ein Favorit übrig: der deutsche Kunsthistoriker Ralph Gleis, derzeit Generaldirektor der Alten Nationalgalerie in Berlin.

Video: Ralph Gleis will „mit visionärer Kraft neue Impulse für die Albertina setzen.“
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20 Bewerberinnen und Bewerber gab es im Vorfeld für einen der begehrtesten Posten der heimischen Museumslandschaft, davon zehn Männer und zehn Frauen. Nach insgesamt 25 Jahren an der Spitze der Albertina macht Klaus Albrecht Schröder nach fünf Amtsperioden Ende kommenden Jahres Platz für einen Nachfolger. Bereits im Jänner hatte er erklärt, keine weitere Vertragsverlängerung anzustreben, womit die wohl bemerkenswerteste Direktionszeit an einem österreichischen Museum in der jüngeren Zeit zu Ende geht. Aus einer grauen Grafiksammlung hat Schröder eine "der wichtigste Kunstinstitutionen der Welt" gemacht, wie es Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in ihrem Anfangsstatement formulierte.

Künftige Herausforderungen

Allerdings auch eine, die in näherer Zukunft vor einer Vielzahl von Herausforderungen steht. Um bei den Big Playern mitzuspielen, öffnete Schröder das Haus nicht nur für zeitgenössische Kunst, sondern erweiterte es auch um die Dependance Albertina Modern im Künstlerhaus am Karlsplatz. Regelmäßig zog er mit Blockbuster-Ausstellungen die Massen an, vor der Pandemie waren es gar über eine Million Besucher jährlich. Damit erreichte er einen Eigendeckungsgrad, von dem andere Museen in diesem Land nur träumen können.

Oder, anders gesagt: Die Albertina kostet die Republik proportional deutlich weniger als andere Museen und war gleichzeitig ein Publikumsmagnet. Mit der Pandemie traten aber auch die Probleme des Hauses, das zu seiner eigenen Refinanzierung unter permanentem Hochdruck und mit zugkräftigen Namen arbeiten muss, offen zutage. Eine Drosselung des Tempos wünschte sich denn Staatssekretärin Mayer bei der Vorstellung des neuen Generaldirektors. Zusatz: Man wolle aber weiterhin in der weltweiten Elite der Museumslandschaft mitspielen.

Wie das gehen soll, darauf gab der 49-jährige Gleis nur vage Antworten, betonte aber, dass ihm die Herausforderung durchaus bewusst sei. Sein wichtigster Ansatz werden verstärkte Kooperationen mit anderen großen Häusern sein. Ein Beispiel: In Berlin richtet Gleis derzeit eine vielgelobte Ausstellung zur Wiener Secession aus, dabei arbeitete er eng mit dem Wien-Museum zusammen, wohin die Ausstellung im Frühjahr kommenden Jahres auch übersiedeln wird. Derzeit beschäftigt sich der Spezialist für Kunst des 19. Jahrhunderts und die klassische Moderne, der vor seinem Wechsel an die Alte Nationalgalerie in Berlin im Jahr 2017 acht Jahre als Kurator am Wien-Museum tätig war, übrigens mit einer Ausstellung über den Romantiker Caspar David Friedrich, die im Anschluss an Berlin an das vom Österreicher Max Hollein geleitete Metropolitan Museum in New York geht.

Sammlung seit 1776

Neben Schlagworten wie "gesellschaftliche Öffnung", "Inklusion" und einem "stärkeren Rückgriff" auf die immerhin 1,2 Millionen Kunstwerke umfassende Sammlung der Albertina kündigte Gleis an, aus der Albertina ein "Kompetenzzentrum für Kunst auf Papier" machen zu wollen. Immerhin liegen die Wurzeln des von Herzog Albert von Sachsen-Teschen im Jahr 1776 gegründeten Hauses im Grafikbereich, Blätter wie der berühmte Feldhase von Albrecht Dürer zeugen bis heute davon. Aus konservatorischen Gründen können viele der Papierwerke aber kaum gezeigt werden.

Auch der neue Direktor der Albertina wird daher auf die vielen Dauerleihgaben zurückgreifen müssen, die unter Schröder an das Haus gebunden werden konnten, in erster Linie auf die Sammlung Batliner. Deren Leihvertrag läuft 2027 aus, eine weitere Bindung an das Haus ist keinesfalls sicher. Gleis versicherte, dass sämtliche Verhandlungen mit den Leihgebern "zugunsten eines Mehrwerts für die Albertina" geführt werden. Nachsatz: Ein "Durchlauferhitzer für die zeitweise Unterbringung" von Kunst wolle man nicht sein. 

Wohl um etwaigen Verunsicherungen vorzubeugen, wandte sich Direktor Schröder gleich im Anschluss an die Vorstellung seines Nachfolgers via Mail an eine Gruppe von Leihgebern. Schröders Anwesenheit bei der Pressekonferenz sollte wohl in erster Linie Kontinuität versichern: So lobte Gleis auch die Positionierung der von Schröder erst 2020 eröffneten Dependance Albertina Modern. Nur in Bezug auf die Wiedereröffnung des Essl-Museums, die Schröder zuletzt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für Frühjahr 2024 angekündigt hatte, blieb Gleis vorsichtig: Hier müssten noch viele Gespräche geführt werden, damit der Start gelingen könne. (Stephan Hilpold, 5.7.2023)


CHRONOLOGIE DER ALBERTINA

1776 gründet der Namensgeber Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822) seine Sammlung. 1792 bringt er sie nach Wien. Binnen 50 Jahren sammelt er 14.000 Zeichnungen und 200.000 Druckgrafiken vom 15. bis ins 19. Jahrhundert, u. a. Werke von Michelangelo, Rubens oder Dürers Feldhase.

1919 werden die Sammlung und das sie beheimatende Palais aus Habsburgerbesitz verstaatlicht.

1994 wird die Albertina zwecks Umbaus geschlossen, 1998 beginnen die Arbeiten zur Erweiterung, Modernisierung, Restaurierung.

2000 übernimmt Klaus Albrecht Schröder das Haus.

2003 wird die Albertina wiedereröffnet, samt nun zum Bestand gehörender Fotosammlung und Eingangsüberdachung von Hans Hollein. Prunkräume sind zugänglich.

2007 gibt das liechtensteinische Sammlerpaar Rita und Herbert ­Batliner 500 wichtige Werke als Dauerleihgabe ans Haus, die Dauerschau Monet bis Picasso eröffnet. Ein Rechnungshofbericht stellt 2019 fest, diese Werke seien für 47 Prozent der Besucher Hauptgrund, in die Albertina zu kommen.

2018 erreicht die Albertina erstmals mehr als eine Million Besucherinnen, 2019 gelingt das erneut.

2018 erhält die Albertina 1323 Kunstwerke aus der Sammlung Essl. Jene im Eigentum von Agnes und Karlheinz gehen als Schenkung ans Haus, jene im Eigentum von Hans Peter Haselsteiner werden für mindestens 27 Jahre als Dauerleihgabe Teil der Albertina. Sie sollen eigene Ausstellungsräume bekommen, die Haselsteiner Familienprivatstiftung übernimmt die Kosten von letztlich 57 Millionen Euro für deren Bereitstellung im Künstlerhaus am Karlsplatz.

2019 akquiriert die Albertina Werke aus der Sammlung Jablonka zur deutschen und US-Kunst der 1980er. Der Vertrag über die Dauerleihgaben läuft vorerst bis 2026.

2020 eröffnet die Dependance Albertina Modern im Künstlerhaus auf 2000 Quadratmetern. Der Plan: Österreichische und internationale Gegenwartskunst sollen sich dort fortan auf Augenhöhe begegnen. Seit 2021 leitet sie Angela Stief.

2023 Schröder plant, das 2016 geschlossene Essl-Museum in Klosterneuburg als Albertina-Standort neu zu eröffnen. (red)

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